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© Sabine Schoeffler

Ein scharfer Cut

Sabine Schoeffler in momentum 04/2023

Nach einer schweren Zeit, die vom Tod ihrer Mutter geprägt war, hat sich Sabine Schoeffler selbst nicht recht stabil gefühlt. Statt Erholung hat sich Schwäche eingeschlichen, nach einer Ärzte-Odyssee und Diagnosen, die in unterschiedliche Richtungen deuteten, wurde plötzlich eine fortgeschrittene Krebserkrankung festgestellt. Ihre Familie hat sie durch die langwierige Therapie begleitet, und als Patientin hat sie gelernt, die eigene Schwäche und Bedürftigkeit zu akzeptieren.

Der Februar ist ein dunkler Monat. 2017 erschien er mir noch dunkler. Meine Mutter starb, meine Geschwister und ich begleiteten sie bis zum letzten Atemzug. Noch nie war mir der Tod so nah gekommen. Erst später bemerkte ich: Ich konnte nicht weinen, gar nicht. Nichts konnte fließen, alles in mir war hart. Ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters, die er in schwierigen Situationen mantramäßig wiederholte: „Kind, da musst du jetzt durch.“ Offensichtlich, da musste ich durch. Trauer ist ein Scheißgefühl, das man nicht steuern kann, es ist einfach da, klebt wie eine Schmeißfliege an einem und geht nicht weg.

Keine Erholung in Sicht

Ich konzentrierte mich wieder auf meine Arbeit und auf meine Familie, denn schließlich musste alles weiterlaufen. Aber es lief nicht gut weiter. Mit der Konzentration schon mal gar nicht. Ich war schwach und fahrig. Außerdem entwickelte sich ein komischer Husten bei mir, ich fühlte mich oft müde und ausgepowert. Mein Kopf erklärte sich das durch die vorherige Stresssituation. Ich schien dünner geworden zu sein, die Hose schlotterte ein wenig um die Beine. Auch das ist doch normal – keinen Appetit zu haben nach so einer Situation, dachte ich. Aber der Husten, der beunruhigte mich schon. Es fühlte sich oft an, als ob ein dicker Elefant auf meiner Brust steht, und ich bekam keine Luft. Zahlreiche Untersuchungen blieben ohne Ergebnis. Schließlich schrieb mein Hausarzt mich krank wegen Überforderung und Verarbeitung des Todes meiner Mutter.

Nach der wochenlangen Ärzte-Odyssee war mir das ganz recht. Endlich ein wenig ausruhen. Dachte ich aber auch nur, denn gleich am ersten Abend bekam ich höllische Bauchschmerzen. Ich landete in der Notaufnahme, und mir wurden Gallensteine entfernt. Endlich Ruhe, ging mir durch den Kopf. Nur leider berichteten die Ärzte mir von vermutlich harmlosen Zysten in meinem Bauchraum, sicherheitshalber machten sie eine Biopsie. Nach zehn Tagen wurde ich sehr schwach entlassen. Die Gallensteine waren fort, der Husten wurde immer schlimmer, teilweise so schlimm, dass ich mich übergeben musste. Weiterhin tippten die Ärzte auf eine psychische Ursache meiner Atembeschwerden. Doch ich wusste genau, ja, ich spürte es, dass mit einem Körper etwas nicht in Ordnung ist. Ich spürte, dass er mir durch den Husten etwas sagen wollte. Auch die Trigeminusneuralgie, plötzlich einschießende unerträgliche Schmerzen, die bis zur Lähmung meiner linken Gesichtshälfte führten, kommt nicht einfach so daher.

Mein Appetit wurde immer geringer, ich fing an, mich vor Essen zu ekeln. Mir wurde regelrecht schlecht, wenn ich nur an Essen dachte. Untypisch – ich bin ein Genussmensch, liebe gutes, gesundes Essen, ich liebe es auch, mich zu bewegen und Yoga zu praktizieren. Nichts davon stimmte mehr. Es war, als ob meinem ganzen System der Stecker gezogen wurde. Langsam bekam ich Angst, dass etwas Ernsthaftes nicht in Ordnung sein könnte.

Etwas Ernsthaftes

Eines Morgens ertastete ich einen Knubbel in meiner Brust. Ich traute mich kaum daüber zu sprechen, da ich meiner Familie nicht schon wieder mit irgendetwas zur Last fallen wollte. Doch natürlich musste auch dies untersucht werden, und ich ließ eine Biopsie machen. Ich glaube, es waren fast vier Wochen zermürbender Warterei, dann bekam ich den Anruf vom Arzt, ich solle in die Onkologie kommen. Alles lief wie in einem Film ab. Ich, Krebs? Nein, das kann nicht sein. Ich ernähre mich gesund, rauche nicht, trinke keinen Alkohol, bin Yogalehrerin – das kann doch gar nicht sein.

Konnte es leider doch. Und ich näherte mich den schwersten Monaten meines Lebens, sofort müsse mit der Chemotherapie angefangen werden, da der Krebs schon weit fortgeschritten sei. Im PET-CT leuchtete ich wie ein Weihnachtsbaum, das waren die befallenen Organe und Körperteile, an der Leber, der Niere, am Magen, an der Bauchspeicheldrüse, das untere Becken – und zwischen den Lungenflügeln saß ein faustgroßes Lymphom. Das war der Elefant. Die fachliche Diagnose lautet: Non-Hodgkin-B-Zell-Lymphom im Stadium IV. Der Krebs hatte es sich ganz schön gemütlich gemacht bei mir. Ein Stadium weiter, und es würde keine Heilungschance mehr geben. Ein Lymphom ist ein systemischer Krebs, der sich relativ schnell im Körper verbreitet. Er wird konventionell mit einer Chemotherapie behandelt.

Meine Schwester, die mich mit ihrem fundierten Wissen als Krankenschwester, ihrer praktischen Hilfe und ihrer liebevollen Zuneigung unterstützte, wuppte gemeinsam mit meinem Freund den Haushalt, und beide kümmerten sich um meine Kinder. Denn von da an ging nichts mehr. Schon vor der Diagnose hatte ich erheblich an Gewicht verloren, mein Immunsystem funktionierte nicht gut, und so habe ich die ersten Chemotherapieinfusionen, jeweils vier Tage à sechs Stunden, im Krankenhaus verbracht. Da lag ich nun und dachte, ich brauche Kraft, ich muss mich sammeln und mich ganz auf mich konzentrieren. Meine Familie kam mir in den Sinn, meine Kinder, meine Freunde, und ich wollte sie nicht verlieren. Also musste ich irgendwie da durch. Der Satz meines Vaters kam mir wieder in den Sinn.
Ein Vertrag mit mir selbst

Schon lange hatte ich mir vorgestellt, mein Leben ruhiger zu leben – weniger Stress und mehr Lebensqualität. Jetzt wurde ich vom Schicksal gezwungen, mehr Ruhe zu halten. Während ich also in diesem kargen Krankenhauszimmer lag und darüber nachdachte, wie mein Leben anders hätte sein können, kam mir der Gedanke, einen Vertrag mit mir selbst zu schließen. Wenn ich all das überstehe, wenn ich wieder gesund werde, dann ändere ich mein Leben komplett. Ich verfasste eine WhatsApp-Nachricht an alle Freunde: Ich erklärte, dass ich ein halbes Jahr Ruhe brauche, keinen Kontakt wünsche und mich riesig freue, alle in den Arm nehmen zu können, wenn ich wieder gesund bin.

Wie ich es geschafft habe, bei dieser Diagnose zu überleben? Ich bin schon immer eine Kämpferin mit starkem Willen gewesen, hart im Nehmen. Doch jetzt brauchte ich einfach nur meine Ruhe. Als Erstes akzeptierte ich, dass der Krebs in mir war, die Situation so war, wie sie war, anstatt sie wegzudiskutieren. Daher habe ich mich sehr in mich zurückgezogen, nur meine Familie und die engsten Freunde waren stets an meiner Seite. Sie unterstützten mich liebevoll und auch klar; ich hatte das Gefühl, ich bin gehalten, getragen und werde geliebt. Durch das Yoga kenne ich Atemtechniken, Meditation und Yoga Nidra (Meditatives Yoga zur Tiefenentspannung), was mir geholfen hat, mich zu entspannen und meine Ängste zu kontrollieren. So konnte ich meine Selbstheilungskräfte enorm aktivieren. Ein fantastisches Ärzte-Duo, verständnisvoll und einfühlsam, die den ganzheitlichen Heilungsansatz von Körper, Geist und Seele praktizieren, halfen mir auch mit TCM (Traditioneller Chinesischer Medizin) und Akupunktur. Während der zahlreichen Krankenhausaufenthalte unterstützte mich das beste Krankenschwesternteam, das man sich vorstellen kann. Ich bekam Briefe und Geschenke von meinen Freunden, alle machten sich Sorgen um mich.

Liebe und vielfältige Unterstützung

Es klingt verrückt, aber ich fühlte mich noch nie so geliebt wie zu dieser Zeit. Trotz dieser schlimmen Krankheit gab es auch schöne Momente. Ich lernte, mich fallen zu lassen, und vor allen Dingen lernte ich durch den Krebs, dass es okay ist, auch mal schwach zu sein im Leben. Wenn man mit dem Glaubenssatz groß wird, dass man immer stark sein muss, wird das Leben unglaublich anstrengend. Heute weiß ich, dass Schwäche zu zeigen eine absolute Stärke ist. Der Krebs, so schrecklich diese Zeit auch war, hat mich genau das gelehrt. Was hat es für einen Sinn, die ständige Kontrolle haben zu wollen? Die gibt es nicht, das Leben macht sowieso, was es will. So wie die Sonne morgens aufgeht und abends wieder unter, so wenig können wir das Leben an sich kontrollieren. Die Chemotherapie und alle begleitenden Medikamente, die ich nehmen musste, haben mich am Anfang sehr erschreckt, da ich fast nie Medikamente in meinem Leben brauchte. So musste ich mich auf die Kompetenz der Ärzte verlassen. Für mich auch ein großes Learning, Kontrolle loszulassen und zu vertrauen. Ja, und natürlich hatte ich auch viel Glück, der Therapieansatz wurde von meinem Körper gut verarbeitet, und nach der dritten Chemo war das Hauptlymphom schon wesentlich kleiner. Gutes soziales Umfeld, qualifizierte Fachärzte, umsorgendes Pflegepersonal, Ruhe, Rückzug durch Tiefenentspannung und Meditation, all die Liebe, die mir entgegengebracht wurde, und der Glaube an mich selbst, das alles waren wohl meine persönlichen „Heilungshelfer“.
Heilsame Veränderungen

Mein Immunsystem war dermaßen supprimiert, dass der kleinste Infekt hätte tödlich verlaufen können. Zweimal war ich für zehn Tage in Umkehrisolierung und lag allein in meinem Krankenhauszimmer. Freunde fragten mich, ob ich lesen würde oder fernsehen. Ich machte nichts dergleichen. Ich lag da, einfach nur so. War erschöpft, und die Venen meiner Arme waren durchlöchert wie ein Schweizer Käse von Infusionen und Chemotherapie. Meinen Port bekam ich erst nach dem dritten Chemozyklus, vorher war ich zu schwach für den Eingriff. Ich lag also da und starrte die Wände an. Manchmal auch aus dem Fenster, und sonst machte ich nichts. Wenn ich das hier so schreibe, sechs Jahre nach meiner Erkrankung, kann ich es selbst kaum glauben. Denn heute vergeht kein Tag, an dem ich nicht in Aktion bin.

Gott sei Dank ist der Mensch ein starkes Wesen, besitzt eine gewisse Resilienz, und unsere Psyche ist sogar fähig, so schlechte Erfahrungen zu verarbeiten. Sie vergisst den Schmerz, der in der Vergangenheit entstanden ist. Wir brauchen nicht darum herumreden: Eine so lebensbedrohliche Erkrankung ist ein Trauma, und ich lege jedem Erkrankten ans Herz, sich auch um seine Psyche zu kümmern. Wir können den Körper nicht von der Psyche trennen. Alles braucht seine Zeit. Dieser Bericht, die Erinnerung an meine vergangene Krebserkrankung, ist wieder ein Stück Verarbeitung und vielleicht auch Heilung in mir.

Nach der letzten Chemotherapie ging es mir langsam besser, ich war zwar immer noch fragil und rappeldünn, aber allmählich ist der Appetit zurückgekehrt. Da habe ich beschlossen, eine Reha zu machen. Ich wollte meine alte Stärke wiederfinden. Die Reha hat mich noch mal animiert, neue Wege einzuschlagen. Durch Zufall bin ich damals auf einen Podcast zur Persönlichkeitsentwicklung gestoßen und war überrascht von meiner bisherigen Denkweise, die eher negativ geprägt war. Plötzlich interessierten mich Seminare und Workshops, die mir mein eigenes, oft destruktives Verhalten zeigten. Ich wollte mehr Leichtigkeit im Leben und lernen, wie unsere Psyche aus alten Gewohnheiten und Mustern herauskommen kann.

Sabine 2.0

Ich habe verstanden, dass Schwäche zeigen und verletzlich sein eine große Stärke ist. Ebenso habe ich gelernt, meine Gedanken zu hinterfragen und mir selbst nicht alles zu glauben, was ich über das Leben und mich selbst dachte. Ich konnte Muster erkennen, die mich seit meiner Kindheit geprägt haben und die ich wie einen roten Faden mit durch mein Leben zog. Alle Gefühle, Angst, Trauer, Scham, Schuld und auch Freude usw. dürfen sich zeigen, denn sie sind ein Teil von mir und dürfen bejahend gefühlt werden. Plötzlich brach etwas auf, und ich konnte sogar wieder weinen. Endlich konnte ich auch die Trauer über den Tod meiner Mutter verarbeiten. So wie mein lymphatisches System kamen auch meine Gefühle wieder in den Fluss.

Meine neue Faszination galt der Persönlichkeitsentwicklung, und ich habe eine Coachingausbildung und eine Ausbildung zur Psychologischen Beraterin absolviert. Mein Heilungsweg dauerte insgesamt zwei volle Jahre, und in dieser Zeit habe ich mein Versprechen eingelöst und mich auch beruflich verändert. In meinen alten Beruf als Grafik-Designerin, den ich über 20 Jahre ausgeübt habe, bin ich nie mehr zurückgekehrt.

Wenn ich heute diesen Text schreibe, überkommen mich eine große Demut, Dankbarkeit und auch Stolz, was ich in diesen letzten Jahren alles geschafft habe. Meine Krankheit erkläre ich mir zum Teil dadurch, dass ich diese Lebenserfahrung „brauchte“, um mich gelassener und demütiger vor dem Leben zu fühlen. Als Life-Coach und Psychologische Beraterin versuche ich meinen Klienten stets mitzugeben, dass das Leben endlich ist. Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern, die Zukunft kennen wir nicht, und daher leben wir nur in diesem jetzigen Moment. Und den dürfen wir stets, so gut es geht, für uns wertvoll gestalten.

Ich nenne mein jetziges Leben gerne Sabine 2.0, der Krebs ein scharfer Cut. Ich habe vieles verändert, bin in einen anderen Beruf eingestiegen und helfe jetzt Menschen durch Lebenskrisen, die ich in reichlicher Zahl selbst erlebt habe. Meine blonden, langen Haare habe ich gegen brünette getauscht, denn so sind sie ganz natürlich nach der Chemo wieder gewachsen. Alles darf authentisch sein. Das Wichtigste ist jedoch, dass ich das Leben mehr schätze und mein Glas jetzt wieder halb voll ist anstatt halb leer.

„Ich wünsche allen Menschen, die diesen Text lesen, frei nach Reinhold Niebuhr, Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die sie nicht ändern können, den Mut, Dinge zu ändern, die sie ändern können, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

 

Information zu unseren Betroffenenberichten

Wir freuen uns, wenn Patient:innen ihren individuellen und persönlichen Genesungsweg finden. Das ist ein Ausdruck des großen Heilungspotenzials in jedem Menschen. Gerne teilen wir diese Erfahrungen mit unseren Leser:innen, auch wenn persönliche Entscheidungen nicht immer auf andere Betroffene übertragbar sind. Sie entsprechen auch nicht in jeder Hinsicht einer konkreten Empfehlung der GfBK für Patient:innen in ähnlicher Situation. Wägen Sie sorgfältig ab, welche Impulse aus den Patient:innenberichten für Sie in Ihrer aktuellen Lage passend sind. Besprechen Sie diagnostische oder therapeutische Maßnahmen im Zweifel gerne mit unserem ärztlichen Beratungsdienst.

©iStock, 1210358928, nortonrsx
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