Medizinisches Cannabis bei Krebserkrankungen
Ich bin Krebspatient und überlege, Cannabiszu nehmen. Wie wirkt Cannabis? Und kann es jeder Arzt verschreiben?
Cannabis (das lateinische Wort für Hanf) besitzt eine jahrtausendealte Tradition als Nutz- und Heilpflanze. Für medizinisches Cannabis ist die am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) errichtete Cannabisagentur zuständig.
Für die Herstellung des medizinischen Cannabis werden hauptsächlich die Blüten der weiblichen Pflanzen verwendet. Das Endprodukt enthält die Vielzahl der in der Pflanze vorkommenden Wirkstoffe – derzeit mehr als 100 identifizierte Cannabinoide sowie zahlreiche Terpene. Insbesondere die Cannabinoide THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) haben das wissenschaftliche Interesse geweckt, da sie eine Vielzahl von möglichen Wirkungen aufweisen, die zur Linderung unterschiedlicher Beschwerden führen und potenziell auch zur Bekämpfung von Tumoren beitragen könnten.
Im Gegensatz zu THC wirkt CBD nicht berauschend. Deshalb ist CBD kein Betäubungsmittel und kann über ein normales Rezept verordnet werden. THC-haltige Präparate werden auf einem speziellen Betäubungsmittelrezept verschrieben.
Cannabis kann auf verschiedene Arten eingenommen werden, abhängig von den individuellen Patientenbedürfnissen, der Art des Produkts und den gesetzlichen Bestimmungen:
- Inhalation von getrockneten Blüten und Extraktkonzentraten mit einem medizinischen Verdampfer: Cannabinoide können so schnell aufgenommen werden.
- Orale Einnahme von öligen Extrakten und Kapseln: Die Wirkung tritt im Vergleich zur Inhalation langsamer ein, hält jedoch oft länger an. Neben pflanzlichen Präparaten sind hier auch vollsynthetische Fertigarzneien (z. B. Nabilon) erhältlich, die aber andere Phytochemikalien der Pflanze nicht enthalten.
- Mundsprays (z. B. Sativex®, CannaXan) werden über die Schleimhäute absorbiert. Diese Methode ermöglicht eine schnellere Wirkung im Vergleich zur oralen Einnahme.
Medizinisches Cannabis wirkt durch Interaktion seiner aktiven Bestandteile mit dem körpereigenen Endocannabinoidsystem. Dieses ist Teil des zentralen Nervensystems und über die Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 an der Regulierung einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt. Dazu zählen beispielsweise die Kontrolle der Motorik, Appetitregulation, Schmerzempfinden und -verarbeitung, Gedächtnisleistungen, Stressantworten, Gemütszustand, Angstgefühle, Förderung des Knochenaufbaus sowie die kardiovaskuläre und immunologische Regulierung.
In zahlreichen Studien und Anwendungsbeobachtungen konnte gezeigt werden, dass medizinisches Cannabis gut verträglich ist und aufgrund der Rezeptorverteilung gegebenenfalls mehrere bestehende Symptome gleichzeitig günstig beeinflussen kann. Möglicherweise können deshalb einzelne Medikamente reduziert oder sogar ganz abgesetzt werden. Besonders bei Krebspatient:innen sollte die Therapie mit einer geringen Dosierung beginnen und nach Bedarf und Verträglichkeit langsam gesteigert werden. Je kränker ein Patient, eine Patientin ist und je mehr Begleitmedikamente eingenommen werden, desto langsamer sollte die Dosissteigerung erfolgen.
Die Aussage, dass Cannabinoide eine direkte Wirkung auf Tumorzellen haben sollen, beruht auf Einzelfallberichten und Laborversuchen. Die Forschung der letzten Jahre scheint zu zeigen, dass Cannabinoide zytotoxische, gegen Tumorzellen gerichtete Effekte haben. Außerdem scheinen Cannabinoide die Empfindlichkeit von Tumorzellen gegenüber Chemotherapeutika zu erhöhen. In Folgestudien konnten diese Ergebnisse zum Teil bestätigt werden, zum Teil fanden sich aber auch widersprüchliche Resultate. In der Krebstherapie ist Cannabis somit ein Baustein unter vielen und besonders bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Tumorstadien geeignet, um zum Beispiel Schmerzen zu lindern oder einer Gewichtsabnahme entgegenzuwirken. Wie bei anderen Substanzen ist es auch bei Cannabis schwierig, im Einzelfall die Wirkung vorherzusagen.
Zu den Nebenwirkungen von medizinischem Cannabis zählen beispielsweise Schwindel, Herzfrequenzveränderungen, Blutdrucksenkung, gesteigerter Appetit, Augenrötungen, Kopf- und Bauchschmerzen, Müdigkeit, Änderung der Körperspannung, trockene Schleimhäute oder auch kognitive Beeinträchtigungen. Üblicherweise verlieren sich diese Nebenwirkungen nach der Eindosierungsphase. Während der Eindosierungsphase sollte die aktive Teilnahme am Straßenverkehr oder das Führen von Fahrzeugen vermieden werden. Bei einer Überdosierung kann es zu Ohnmacht, starken Schwankungen von Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz oder des Blutzuckers kommen, bei entsprechender Veranlagung auch zu Angst, Halluzinationen oder vorübergehenden psychotischen Zuständen. Zu beachten ist auch, dass es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geben kann. Zu nennen sind hier insbesondere Gerinnungshemmer, Magensäurehemmer, Schmerzmittel, Muskelrelaxanzien, Opiate, Alkohol und Beruhigungsmittel.
Prinzipiell dürfen jeder Arzt und jede Ärztin medizinisches Cannabis verordnen. Die Verschreibung und Begleitung der Behandlung sollten jedoch möglichst durch darin erfahrene Ärzte erfolgen. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen und dürfen „nur in begründeten Ausnahmefällen“ abgelehnt werden. Damit entfällt das bisherige Verfahren, dass Patient:innen bei der Bundesopiumstelle eine Ausnahmeerlaubnis beantragen müssen. Außerdem schreibt das neue Gesetz nicht vor, wann Cannabis eingesetzt werden darf, sondern überlässt diese Entscheidung weitgehend den Ärztinnen und Ärzten, wenn „eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt“, „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht oder zur Anwendung kommen kann“ und „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht“. Vor der ersten Verordnung sollte die Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse vorliegen.
Von einer Selbstmedikation – auch mit frei verkäuflichem CBD – ist abzuraten, da die Dosierungen meistens viel zu niedrig sind und die Qualität und Herkunft der Inhaltsstoffe gegebenenfalls nicht kontrolliert sind.