Richtige Lebensweise ist der wahre Schlüssel zur Gesundheit
Interview mit PD Dr. Michael Nehls
von Petra Barron
Ich freue mich sehr, für dieses Interview PD Dr. Michael Nehls gewonnen zu haben, einen habilitierten Molekulargenetiker und erfahrenen Mediziner, der seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur Prävention von Zivilisationskrankheiten mit uns teilt. Mit über 50 wissenschaftlichen Publikationen und mehreren Büchern hat er maßgeblich dazu beigetragen, das Verständnis von Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention zu erweitern. Dr. Nehls spricht über seine Reise von der klassischen Forschung hin zur Erkenntnis, dass ein gesunder Lebensstil, besonders in Bezug auf das mentale Immunsystem, entscheidend für die Prävention und Heilung von Krankheiten ist. Er teilt seine Einsichten über die Bedeutung von Bewegung, Ernährung und mentaler Gesundheit und erläutert seine „Methusalem-Formel“ als ganzheitlichen Ansatz zur Förderung eines langen und gesunden Lebens.
Dr. Petra Barron: Michael, du hast über 50 wissenschaftliche Publikationen und mehrere Bücher veröffentlicht. Was hat dich dazu bewogen, dich auf die Prävention von Zivilisationskrankheiten zu konzentrieren?
Dr. Michael Nehls: Mein Interesse an der Prävention entstand durch meine Forschung zur Immunologie und Molekulargenetik. Besonders faszinierte mich die Verbindung zwischen mentalem und körperlichem Immunsystem. Unsere modernen Lebensstile erfüllen oft nicht die grundlegenden Bedürfnisse dieser Systeme, was zu hohen Raten von Depressionen, Alzheimer und Krebs führt. Ich habe mich daher intensiv mit der Frage beschäftigt, wie wir durch Lebensstiländerungen Krankheiten vorbeugen können.
Du hast auf deiner Website direkt auf der Startpage die Frage: „Was hält uns davon ab, ein langes, gesundes Leben zu führen?“ gestellt. Wie bist du zu dieser zentralen Frage gekommen?
Während meiner Forschung an sogenannten „Nacktmäusen“, die vor allem in der Krebsforschung viel zum Einsatz kommen, erkannte ich, wie entscheidend das Immunsystem für die Krebsabwehr ist. Diese Mäuse haben kein Immunsystem und entwickeln deshalb Tumore, die bei gesunden Mäusen abgewehrt werden. Was mich damals interessierte, war die Frage: Warum haben sie kein Immunsystem? Das war also eine genetische Frage, die ich untersucht habe. Fast drei Jahre lang forschte ich daran, konnte meine Ergebnisse publizieren und entdeckte einen molekularen Schalter.
Ich hatte den First-Author-Status, da es meine zentrale Publikation war. Diese Entdeckung wurde zu einem wichtigen Baustein der Immunologie und von der amerikanischen Gesellschaft für Immunologie geehrt, da dieser Schalter ohne den Aufbau eines Immunsystems nicht möglich wäre und für die Immunabwehr relevant ist. Der Mechanismus und die Technik, mit denen ich diesen Schalter entdeckte, ermöglichten es, viele Erbkrankheiten sehr schnell aufzuklären.
Ich suchte also im Erbgut nach einem Gen, dessen Veränderung vielleicht dazu führen könnte, dass wir lange gesund bleiben – im Grunde den „Stein der Weisen“ oder einen Jungbrunnen im Erbgut. Während meiner Tätigkeit in der Forschung und Industrie erkannte ich dann aber, dass der Schlüssel zur Gesundheit in der Interaktion zwischen unserem Lebensstil und unserem Erbgut liegt. Es geht nicht darum, ein einzelnes „Jungbrunnen- Gen“ zu finden, was jahrelang unser Ziel war, sondern darum, wie unser Lebensstil die Gene beeinflusst. Diese Erkenntnis änderte mein Leben und meine berufliche Ausrichtung grundlegend.
Was war der Wendepunkt in deiner Karriere, der dich zur Erforschung des Lebensstils führte?
Ich hatte über der Arbeit einen gesunden Lebensstil völlig vernachlässigt und entsprechend massive gesundheitliche Probleme entwickelt. Glücklicherweise habe ich mich in dieser Situation auf meinen früher intensiv ausgeübten Sport und eine vernünftige Ernährung besinnen können. Ein entscheidender Moment war, als ein Arzt mich fragte, ob ich in einen Jungbrunnen gefallen sei, nachdem meine Werte sich durch Veränderungen im Lebensstil drastisch verbessert hatten. Diese Erfahrung machte mir klar, dass die Suche nach einem Wundergen im Erbgut vergeblich ist und dass die richtige Lebensweise der wahre Schlüssel zur Gesundheit ist.
Welche Rolle spielt das von dir erwähnte „mentale Immunsystem“ in deinem Ansatz zur Krankheitsprävention?
Das mentale Immunsystem, das in unserem Gehirn und vielleicht auch im Bauch verankert ist, hat ähnliche Bedürfnisse wie das körperliche Immunsystem. Beide Systeme profitieren von einem gesunden Lebensstil. Mentale Gesundheit ist entscheidend, um Krankheiten wie Alzheimer vorzubeugen und das allgemeine Wohlbefinden zu fördern. Unser mentales Immunsystem schützt uns vor psychischen Belastungen und spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung von Stress und Angst, was wiederum einen direkten Einfluss auf unser körperliches Immunsystem hat. Ein gesunder Lebensstil, einschließlich regelmäßiger Bewegung und ausgewogener Ernährung, ist entscheidend, um beide Immunsysteme zu stärken.
Du sprichst oft von den „Blue Zones“, Regionen, in denen Menschen besonders alt und dabei auch noch gesund bleiben. Was können wir von diesen Regionen lernen?
Die Menschen in den Blue Zones haben einen Lebensstil, der Bewegung, gesunde Ernährung, soziale Interaktionen und einen starken Lebenssinn umfasst. Diese Elemente fördern die Produktion neuer Nervenzellen im Hippocampus, was vor Alzheimer schützt und die allgemeine Gesundheit unterstützt. Ich habe die Lebensweise in diesen Regionen intensiv untersucht und festgestellt, dass sie in vielerlei Hinsicht dem entspricht, was ich als idealen Lebensstil bezeichne.
Was sind deiner Ansicht nach die Hauptfaktoren, die in unserer modernen Gesellschaft zu Krankheiten führen?
Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung und chronischer Stress sind die Hauptursachen. Es stellt sich die Frage, wie ich Menschen dazu bringen kann, ihren Lebensstil zu ändern. Die meisten wollen das nicht. Deshalb suchte ich eine Krankheit als Hebel, die mehrere Kriterien erfüllt: Es darf kein Medikament geben, es muss eine große Angst vor der Krankheit bestehen, und sie muss häufig und bedrohlich sein.
Alzheimer erfüllte all diese Kriterien. Es gibt kein Medikament, das die Krankheit aufhält, und 50% der Deutschen gaben an, Alzheimer sei ihre größte Angst. Zudem gab es schon vor 20 Jahren starke Hinweise, dass Alzheimer durch den Lebensstil bedingt ist, nicht genetisch unvermeidlich. Das ist der Grund, warum ich mein Buch über Alzheimer geschrieben habe, auch wenn die Erkenntnisse grundsätzlich für viele Erkrankungen einschließlich Krebs stehen können. Experimente zeigten, dass Mäuse mit Alzheimer-beschleunigenden Genen tatsächlich Alzheimer entwickelten. Doch wenn diesen Mäusen ein Hamsterrad zur Verfügung gestellt wurde, nutzten sie es, und der Alzheimer bildete sich sogar zurück. Diese Mäuse waren trotz der schlechten Gene mental und körperlich fitter als ihre genetisch unbelasteten, aber inaktiven Kollegen. Leider fehlt oft das Verständnis dafür, wie wichtig ein gesunder Lebensstil ist. Wir müssen bereits in der Schule und in der Erziehung mehr Aufklärung betreiben, um diese Probleme an der Wurzel zu bekämpfen. Viele Menschen wissen einfach nicht, was sie tun müssen, um gesund zu bleiben, und unser modernes Leben macht es ihnen schwer, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deswegen haben wir eben nicht nur sozusagen Schwierigkeiten im mentalen Immunsystem, hohe Depressionsraten, hohe Alzheimer-Raten, sondern eben auch hohe Krebsraten.
Du hast aus diesen Erkenntnissen deine Methusalem-Formel entwickelt. Kannst du uns diese näher erläutern?
Die Methusalem-Formel basiert auf der Analyse der Lebensweise in den Blue Zones. Sie umfasst einen starken Lebenssinn, regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Bindungen. Diese Faktoren zusammen fördern ein langes und gesundes Leben, indem sie sowohl das mentale als auch das körperliche Immunsystem stärken. Im Zentrum der Formel steht der Lebenssinn. Menschen brauchen eine Aufgabe, die ihnen wichtig ist und die ihnen das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. Bewegung ist ebenfalls entscheidend, nicht nur für die körperliche, sondern auch für die mentale Gesundheit.
Wie wichtig ist die Selbstverantwortung in diesem Prozess?
Selbstverantwortung ist entscheidend. Jeder muss sich selbst um seine Gesundheit kümmern und informierte Entscheidungen treffen. Wir leben in einem Informationszeitalter, in dem alle notwendigen Informationen zugänglich sind. Es liegt an jedem Einzelnen, diese zu nutzen und umzusetzen. Man kann die Verantwortung für die eigene Gesundheit nicht an Ärzte oder das Gesundheitssystem abgeben. Jeder muss aktiv werden und sein Leben selbst in die Hand nehmen.
Ein Punkt, den du immer wieder betonst, ist die Bedeutung von Bewegung. Kannst du darauf näher eingehen?
Bewegung ist essenziell für ein gesundes Leben. Es geht nicht nur darum, Kalorien zu verbrennen, sondern auch darum, Hormone freizusetzen, die unser Gehirn und unseren Körper positiv beeinflussen. Das Entscheidungsvermögen wird stark vom Zustand unseres Gehirns beeinflusst. Besonders der Hippocampus spielt eine Schlüsselrolle bei Gedächtnis, Lernen und der emotionalen Verarbeitung. Wenn das Gehirn nicht optimal funktioniert, leidet auch unser Entscheidungsvermögen. Unsere Lebensgewohnheiten haben direkte Auswirkungen auf die Gesundheit des Hippocampus. Ein ungesunder Lebensstil kann die Produktion neuer Zellen im Hippocampus hemmen, was sich negativ auf unser Denken, unsere Kreativität und unsere psychische Resilienz auswirkt. Das bedeutet, dass wir möglicherweise schlechtere Entscheidungen treffen und weniger in der Lage sind, Herausforderungen zu bewältigen.
Aber selbst kleine Veränderungen in unserem Alltag können einen großen Unterschied machen. Jeder Schritt, den wir gehen, jede Treppe, die wir steigen, trägt zur Gesundheit unseres Gehirns bei. Diese körperliche Aktivität fördert die Durchblutung und die Produktion von Hormonen wie Irisin, das die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus anregt.
Das bedeutet, dass einfache Entscheidungen, wie mit dem Fahrrad zur Post zu fahren oder die Treppe statt den Aufzug zu nehmen, unser Gehirn stärken können. Diese kleinen Schritte summieren sich und haben langfristig einen positiven Effekt auf unser Entscheidungsvermögen und unsere geistige Gesundheit. Wenn wir uns bewusst für mehr Bewegung entscheiden, verbessern wir nicht nur unsere körperliche, sondern auch unsere geistige Fitness.
Wie sieht es mit der Ernährung aus? Welche Empfehlungen gibst du hier?
Eine gesunde Ernährung ist genauso wichtig wie Bewegung. Es geht darum, dem Körper die Nährstoffe zu geben, die er braucht, und schädliche Substanzen zu vermeiden. Eine pflanzenbasierte Ernährung, reich an Obst, Gemüse, Nüssen und Vollkornprodukten, hat sich als besonders vorteilhaft erwiesen. Zucker und stark verarbeitete Lebensmittel sollten gemieden werden, da sie Entzündungen fördern und das Risiko für chronische Krankheiten erhöhen.
Du hast auch über die Bedeutung von Vitamin D und anderen Mikronährstoffen gesprochen.Kannst du das näher erläutern?
Vitamin D ist ein entscheidender Faktor für ein starkes Immunsystem. Ein Mangel kann das Risiko für verschiedene Krankheiten erhöhen, einschließlich Krebs. Studien haben gezeigt, dass ein optimaler Vitamin-D-Spiegel das Immunsystem stärkt und Entzündungen reduziert, sogar das Überleben bei Krebs deutlich verbessert. Es ist wichtig, regelmäßig den Vitamin-D-Spiegel zu überprüfen und bei Bedarf ausreichend zu supplementieren. Auch unser mentales Immunsystem braucht Vitamin D, und der Schutz vor Covid-19 ist am besten, wenn wir einen Vitamin-D-Spiegel von etwa 125 Nanomol pro Liter haben. Laut neuesten wissenschaftlichen Studien liegt die Wahrscheinlichkeit, beispielsweise an Covid-19 oder Influenza zu sterben, bei diesem Vitamin- D-Spiegel praktisch bei null. Das bedeutet, wir müssen unseren Vitamin-D-Spiegel auf ein natürliches Niveau von ungefähr 125 Nanomol pro Liter anheben. Natürlich spielen neben Vitamin D auch andere Mikronährstoffe wie Selen, Zink und Omega-3-Fettsäuren eine wichtige Rolle für die Gesundheit.
Du erwähnst oft die Wichtigkeit von Lithium in deiner Forschung. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Lithium spielt eine entscheidende Rolle bei der Neurogenese und der Reduktion von Entzündungen im Gehirn. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass eine geringe Menge an Lithium im Trinkwasser mit einer geringeren Rate an Depressionen, Alzheimer und anderen psychischen Erkrankungen verbunden ist. Leider wird diese wichtige Erkenntnis oft ignoriert, und Lithium wird nicht als essenzieller Nährstoff anerkannt, obwohl es deutliche Beweise für seine Vorteile gibt. Lithium kann helfen, die Produktion neuer Nervenzellen im Hippocampus zu fördern und das mentale Immunsystem zu stärken. Wie können Menschen sicherstellen, dass sie genug Lithium bekommen? In vielen Regionen ist der Lithiumgehalt im Trinkwasser zu niedrig, um die notwendigen gesundheitlichen Vorteile zu bieten. Daher kann es sinnvoll sein, Lithium als Nahrungsergänzungsmittel zu sich zu nehmen, insbesondere in niedrigen Dosierungen, die sicher und effektiv sind. Es ist wichtig, dass dies unter ärztlicher Aufsicht geschieht, um die richtige Dosierung sicherzustellen und mögliche Nebenwirkungen zu vermeiden, es gibt allerdings nur wenige Apotheken, die diese Präparate auf Rezept herstellen. Wir arbeiten aber an Netzwerken, um die Versorgung zu verbessern.
Was sind die größten Herausforderungen, die du in der modernen Medizin siehst?
Eine der größten Herausforderungen ist der Einfluss der Industrie auf die Gesundheitsversorgung. Es gibt oft Interessenkonflikte zwischen dem, was für die Gesundheit der Menschen am besten ist, und dem, was für die Profite der Unternehmen am besten ist. Dies führt dazu, dass Prävention und gesunder Lebensstil nicht die Priorität haben, die sie haben sollten. Außerdem fehlt es an einer umfassenden Aufklärung über die Bedeutung eines gesunden Lebensstils. Die Medizin ist oft darauf ausgerichtet, Krankheiten zu behandeln, anstatt sie zu verhindern.
Wie kann man Menschen dazu motivieren, ihren Lebensstil zu ändern?
Das ist eine große Herausforderung, weil viele Menschen nicht bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern, solange sie keine unmittelbaren negativen Konsequenzen sehen. Ein Ansatz ist es, über die langfristigen Vorteile aufzuklären und zu zeigen, wie sich ein gesunder Lebensstil positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Auch die Schaffung eines unterstützenden Umfelds und die Einbindung der Gemeinschaft können helfen. Letztlich muss jeder für sich selbst die Entscheidung treffen, seine Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen.
Gibt es noch etwas, das du unseren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben möchtest?
Das Wichtigste ist, aktiv zu werden und Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Informiert euch, stellt kritische Fragen und setzt die Erkenntnisse in die Tat um. Nur so können wir die Kontrolle über unsere Gesundheit und unser Leben zurückgewinnen. Wir müssen verstehen, dass wir nicht passiv auf die Medizin warten können, um unsere Probleme zu lösen. Es liegt an uns, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um gesund zu bleiben.
Vielen Dank, Michael, für dieses inspirierende Gespräch und die vielen wertvollen Informationen.
Es war mir eine Freude. Vielen Dank für die Einladung, Petra.
Das ausführliche Videointerview können Sie demnächst auf unserem YouTube-Kanal sehen:
Zur Person
Privatdozent Dr. med. Michael Nehls ist Arzt und habilitierter Molekulargenetiker. Als Grundlagenforscher entschlüsselte er die genetischen Ursachen verschiedener Erbkrankheiten, sowohl an deutschen als auch an internationalen Forschungseinrichtungen. Zwei seiner Entdeckungen veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nobelpreisträgern. Die Entdeckung eines Schlüsselgens bei der Immunitätsentwicklung wurde vom renommierten US-amerikanischen Fachverband für Immunologie als „Säule der Immunologie“ geehrt. Als Wissenschaftsautor mit dem Talent, komplexe Zusammenhänge einem breiten Publikum verständlich aufzubereiten, hat er verschiedene Bestseller geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Als Privatdozent hält er Vorträge auf Kongressen und an Universitäten, die sich großer Beliebtheit erfreuen.
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PD Dr. Michael Nehls