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© Gabriele Schmid

Der himmlische Begleiter

Gabriele Schmid in Signal 4/2015

Wie heißt es immer so schön? »Alles begann eigentlich viel früher.« Auch meine Erlebnisse haben eine Vorgeschichte: Meine Mutter bekam mit 52 Jahren Brustkrebs. Viereinhalb Jahre später hatte sie Gebärmutterkrebs, zwei Jahre danach einen Tumor im Bauchraum und zu guter Letzt auch noch ein Darmkarzinom. Mittlerweile ist sie 77 Jahre alt und lebt immer noch! Obwohl ich ein unverbesserlicher Optimist bin, hatte ich insgeheim erwartet, dass auch ich diese Krankheit irgendwann bekommen würde.

Im August 2007 ertastete ich etwas in der Brust. Ich registrierte nicht, dass es sich dabei um einen Knoten handelte, weil ich das nicht wahrhaben wollte. Da war halt ein »Knubbel«. Na und?! Tage später war er noch da. Und selbst Wochen später war er noch immer nicht verschwunden. Er tat nicht weh, er störte nicht, aber er ließ sich auch nicht vertreiben – weder durch wüste Beschimpfungen noch durch Schüßler-Salze. Wie auch. Ich wusste, dass er da nicht hingehörte, und ich wollte ihn nicht haben. Darum unternahm ich noch so alles Mögliche, doch der Knubbel reagierte nicht darauf. Also versuchte ich, ihn zu ignorieren.

Im November stand der halbjährliche Check beim Gynäkologen an. Mist, das verdammte Ding war im Ultraschall zu sehen! »Frau Schmid«, sagte mein Arzt, »Sie gehen jetzt mal hübsch fein zur Mammografie, und zwar pronto«. Dort sprach man von Kalkablagerungen und einer Gewebeprobe. Mir dämmerte etwas. Beim Betreten der Klinik wurde mir schon am Haupteingang speiübel. Mit der Stationsschwester bekam ich mich in die Wolle und den Terminzettel, den sie mir aufdrängte, nahm ich nur äußerst widerwillig entgegen. Die Bemerkung: »Abgesagt ist so ein Termin schnell«, konnte ich mir nicht verkneifen. Langsam wurde es ernst. Ich bildete mir den »Knubbel« also nicht ein. Alle konnten ihn mithilfe der technischen Geräte sehen.

Ein schlimmes Weihnachtsfest

Meine damalige Hausärztin empfahl mir ein anderes Krankenhaus. Genauso eindeutig, wie ich aus meinem Inneren ein entschlossenes »Niemals!« vernommen hatte, als ich die erste Klinik betrat, war es hier ein zustimmendes »Yes«. Ich hatte von nichts eine Ahnung, doch eines wusste ich: »Hier bin ich richtig!« Der freundliche Herr Doktor im weißen Kittel lullte mich ein und verpasste mir auf der Stelle eine Stanzbiopsie. Als mein Mann ihn nach seiner Prognose fragte, holte mich die Antwort wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: »Es würde mich sehr wundern, wenn dieses Gewebe gutartig wäre.« Bumm – die Aussage traf mich wie ein Holzhammer.
Am 19. Dezember erfuhr ich, dass ich Brustkrebs hatte – mit 42 Jahren! Sogar noch zehn Jahre früher als meine Mutter. Die darauffolgende Zeit war furchtbar. Der Boden tat sich unter mir auf und der freie Fall begann. Da ich niemandem in der Familie das Weihnachtsfest verderben wollte, vereinbarte ich mit meinem Mann, dass wir bis nach den Festtagen Stillschweigen bewahren wollten. Ein paar Tage später war Silvester. Ich hatte Dienst und in meinem Job als Verkäuferin begegnete ich vielen Menschen, die ihre guten Wünsche in Höflichkeitsfloskeln von sich gaben. »Viel Gesundheit im Neuen Jahr« bekam mit einer bösartigen Geschwulst in der Brust für mich eine ganz andere Bedeutung. Ich wusste nicht, wie viel ich vom nächsten Jahr noch erleben und ob es für mich ein weiteres Silvester geben würde. Ich sah mich mit dem Tod konfrontiert und fragte mich, wie das mit dem Sterben eigentlich geht. Im Laufe der Stunden entwickelte ich einen regelrechten Hass auf die scheinbar gedankenlos gesprochenen Worte. Am liebsten wäre ich diesen Leuten an die Gurgel gegangen. Das einzige, was mich von einem Amoklauf abhielt, war, dass die Ahnungslosen ja von meiner Erkrankung nichts wussten. Sie meinten es doch nur gut. Damals erlebte ich das schlimmste Weihnachten und den übelsten Jahreswechsel meines Lebens. Aber das sollte noch nicht alles gewesen sein. Für den 21. Januar 2008 war der Operationstermin angesetzt. Zwei Tage vorher wurde meine Mutter 70. Wieder wollte ich die Stimmung nicht verderben und so hielten sämtliche Familienmitglieder »die Füße still«. Es wurde ein schönes Fest – für die anderen, nicht für mich. Ich war am Ende meiner Kräfte. Vier Wochen Heimlichtuerei gegenüber der Außenwelt hatten ihren Preis.

Mit Naturheilkunde durch die Strahlentherapie

Ich wollte nur noch ins Krankenhaus und diesen verdammten Krebs loswerden. Die OP verlief gut. Die Lymphknoten waren nicht befallen. Mental hatte ich mich bereits auf eine Chemotherapie eingestellt. Daher war ich fast enttäuscht, als mir mein Lieblingsdoktor »nur« eine »nette Bestrahlung« verordnete. Ich dachte »Okay, der Mann, dem ich gerade mein Leben anvertraue, wird schon wissen, was er tut.« Mithilfe von Selen, Bach-Blüten und ein paar naturheilkundlichen Medikamenten war die Strahlentherapie ein Klacks. Ich lernte, sehr genau auf die Signale meines Körpers zu achten, und nahm die zehn Monate Auszeit an wie ein Geschenk. Die Anschlussheilbehandlung war nicht nur Balsam für den Körper, sondern vor allen Dingen für meine Seele. In ihr steckte nämlich seit Langem ein tiefer Kummer. Unser zweiter Sohn war im Säuglingsalter in einer akut lebensbedrohlichen Situation. Der Schock erschütterte mich seinerzeit bis ins Mark. Und noch viele Jahre lang hatte ich Panik, dass Gott unser Kind schon bald wieder zurückhaben wollte. Erst als der Bub in die Pubertät kam, löste sich das Problem und meine Ängste legten sich. Wenn ich jetzt an August 2007 zurückdenke, als ich den Knoten in meiner Brust ertastete, kommt mir der Gedanke, dass das ein Kummerknoten« gewesen sein könnte. Genetisch hatte ich nämlich keine Prädisposition, an Brustkrebs zu erkranken. Aufgrund der Vorgeschichte meiner Mutter ließ ich einen entsprechenden Gentest machen. Mein BRCA-1-Ergebnis war völlig in Ordnung. Ein halbes Jahr später genoss ich meine erste Rehabilitationsmaßnahme. Diese Zeit brachte mir erneut Auftrieb für Körper, Geist und Seele. So langsam kam ich auch mit einem wunderbaren Thema in Kontakt: Ich fand Zugang zu meinem Schutzengel. Es gab da das eine oder andere Schlüsselerlebnis, das dazu beitrug, mein Bewusstsein für ihn zu wecken. »Rein zufällig« lauschte ich im Herbst 2009 einem Vortrag über den Jakobsweg.
Der Referent hatte kein einziges Bild dabei, aber er schilderte seine Pilgerschaft so lebendig, dass ich nach zwei Stunden sagte: »Das mache ich!« Sofort kaufte ich Stiefel, Rucksack und Wanderführer. Ursprünglich wollte ich eigentlich im April 2010 durchstarten. Ich bekam allerdings Zweifel und fragte meinen himmlischen Helfer. Der schickte mich dann nicht auf den Jakobsweg, sondern erneut zur Reha. Im Nachhinein gesehen war das klug von ihm, zu diesem Zeitpunkt hätte ich die Strapazen nämlich noch gar nicht ausgehalten. Den Rucksack samt Wanderführer also auf den Dachboden verfrachtet, hatte ich das sichere Gefühl, dass meine Zeit kommen würde.

Endlich auf dem Jakobsweg

Zwei Jahre später waren unser Jüngster und ich wieder »auf dem Damm«. Nächtelang träumte ich von diesem Weg. Mein Wunsch war unbeschreiblich stark und der Gedanke ließ mich gar nicht mehr los. Ich checkte alle Eventualitäten und siehe da: Zwischen dem ersten Aussprechen meines Traumes und dem Abflug vergingen genau zwölf Tage. Ich startete in Pamplona, hatte enorme Probleme und erlebte doch einen absolut phantastischen Pilgerweg. Die ganze Zeit über führte und leitete mich mein Schutzengel in grandioser Art und Weise. Ich kam in Santiago de Compostela an – ja –, aber völlig anders, als Sie es sich jetzt vielleicht vorstellen. Als ich dort im letzten freien der 177 Betten lag, sagte dieser Schutzengel zu mir: »Schreib ein Buch. Mach es, ich helfe dir. Alles wird gut.« Wieder daheim, legte ich los. Es wurden 480 handgeschriebene DIN-A4-Seiten. Mein himmlischer Freund führte mich zu den richtigen Menschen, eines ergab das andere und es entstand tatsächlich das Buch, das mir mein Engel prophezeite: Die Wunder des »Camino«. Oh ja, es ist ein Wunder, wie diese Zeilen zuwege kamen! Diese verrückte Geschichte ist jedoch noch nicht zu Ende. Das Buch wurde nicht nur fertig, es war auch zur vorausgesagten Zeit gedruckt. Beim letzten Beten in der Kathedrale erfuhr ich, dass ich erstens nächstes Jahr nochmals kommen darf und dass ich zweitens dieses Buch zurücktragen werde zu Jakobus vom Sternenfeld – zu seinem Ursprung, zu dem Ort, an dem es mir aufgetragen wurde. Genauso ist es geschehen. Drei Tage vor dem nächsten Abflug brachte mir ein Bote die Kartons aus der Druckerei ins Geschäft. Also packte ich eine Ausgabe in meinen Rucksack und wanderte erneut auf dem Camino – mit himmlischer Fracht im Gepäck.

Begegnung mit Gott

Auf dem Weg fand ich nicht nur Freunde aus aller Welt, mit denen ich immer noch Kontakt habe, sondern vor allen Dingen mich selbst und Gott. Viele Ungereimtheiten meines bisherigen Lebens wurden auf einmal klar. Verwirrungen lösten sich und Denkmuster verschwanden. Wenn sich eine Türe schloss, öffnete sich dafür ein Fenster. Durch die Hochs und Tiefs des Lebens und nicht zuletzt durch meine Krebserkrankung, war ich in der Lage, den Weg der Seele nicht nur richtig zu sehen, sondern auch unglaublich tief zu fühlen. Ich war imstande, Gott zu begegnen. Er machte mir das größte Geschenk, das es gibt: Er zeigte mir seine Liebe. Es ist die Liebe aus tiefstem Herzen, die uns sein Sohn Jesus Christus mit auf den Weg gegeben hat. Seither geht es mir einfach nur gut und ich empfinde eine nicht auszusprechende Dankbarkeit. Ich wurde vom Schutzengel auf diesen Weg geschickt. Alles musste genau so geschehen. Ein wahnsinniges Abenteuer. Man sagt: »Wer sich auf diesen Weg macht, kommt als ein anderer zurück als der, der er war.« Das kann ich nur bestätigen. Was mir auf dem Weg zurück nach Santiago de Compostela alles begegnete, habe ich im zweiten Band" Den Schutzengel im Rucksack" festgehalten. Am Ende stellte sich heraus, dass das erste Buch mit einer Begebenheit beginnt, deren Kreis sich am Ende der zweiten Geschichte schließt. Diese beiden Bücher sind Seelenbücher. Menschen erzählen mir immer wieder, dass sie gleichermaßen lachen und weinen, wenn sie sie finden. Und für mich – die ich hier nur der schreibende Stift bin – gibt es nichts Schöneres, als dass die Leser mir mit leuchtenden Augen berichten, dass ihnen das Herz aufgegangen sei. Unwetter und Strapazen zum Trotz: Ich erlebte einen phantastischen Pilgerweg.

Der Schutzengel ist immer da

Wenn ich etwas auf dem Weg zu Jakobus vom Sternenfeld gelernt habe, dann dass mein Schutzengel immer da ist und nur eines möchte: »Vertrau mir!« Allen, die sich früher oder später auf den Weg ihres Lebens machen, wünsche ich aus tiefstem Herzen einen buen camino. Möge er ihnen dasselbe Licht in die Seele bringen, wie es mir zuteil wurde.

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Wir freuen uns, wenn Patient:innen ihren individuellen und persönlichen Genesungsweg finden. Das ist ein Ausdruck des großen Heilungspotenzials in jedem Menschen. Gerne teilen wir diese Erfahrungen mit unseren Leser:innen, auch wenn persönliche Entscheidungen nicht immer auf andere Betroffene übertragbar sind. Sie entsprechen auch nicht in jeder Hinsicht einer konkreten Empfehlung der GfBK für Patient:innen in ähnlicher Situation. Wägen Sie sorgfältig ab, welche Impulse aus den Patient:innenberichten für Sie in Ihrer aktuellen Lage passend sind. Besprechen Sie diagnostische oder therapeutische Maßnahmen im Zweifel gerne mit unserem ärztlichen Beratungsdienst.

©iStock, 1210358928, nortonrsx
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