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Elvira Muffler, Kommunikation und Krebs

13. April 2017

„Sie brauchen keine Angst zu haben.” Gut ge­meinte Sätze können belasten. Angst kommt in den Mittel­punkt. Statt Ver­nein­ungen sind positiv formulierte Sätze unter­stützend: „Sie haben gute Chancen wieder gesund zu werden.” Lesen Sie, wie Kommunikation in schwierigen Zeiten wohl­tuend und stärkend sein kann. Gute Kommunikation ist auch unter ungewöhnlichen Umständen möglich.

Heilsame Kraft der Kommunikation

Der Begriff Kommunikation umfasst in seiner ursprünglichen Bedeutung wesentlich mehr als den bloßen Austausch von sachlichen Informationen. Er bedeutet mitteilen im Sinne von miteinander teilen oder teilnehmen lassen, auch teilhaben lassen. Insbesondere spielt dabei die Gegenseitigkeit der Beteiligten eine große Rolle und der Informationsaustausch bezieht sich sowohl auf Inhalte als auch auf Emotionen zwischen mehreren Menschen. Dieses vielschichtige Mitteilen macht die Kommunikation zu einem sozialen Geschehen. Das Miteinanderteilen von sachlichen Informationen und Emotionen beeinflusst unser Verhalten, unser Befinden und unsere Beziehungen. Es kann in der Medizin also keinesfalls genügen, die „richtige” Kommunikation zu erlernen oder die immer und für jeden „richtigen” Worte zu kennen. Kommunikation beinhaltet auch die Bereitschaft, in Beziehung zu treten und den anderen Menschen in seiner individuellen Situation wahrzunehmen.

Kommunikation als sozialer und individueller Prozess

Immer häufiger wird aus unterschiedlichen Perspektiven die Bedeutung der Kommunikation im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung betont. Die Zuwendung durch die Behandler sowie deren Achtsamkeit bei Formulierungen im Gespräch mit Patienten und Angehörigen und schließlich auch die eigene Kommunikation der Betroffenen mit sich selbst, das innere Selbstgespräch, das wir Menschen ständig mit uns führen, für all diese Aspekte wird zu Recht zunehmend Aufmerksamkeit gefordert.

Heilsame und zerstörerische Kraft. Manchmal erscheint es als eine neue Erkenntnis, wie wichtig eine „gute” Kommunikation für die medizinische Behandlung ist. Dabei ist das Wissen um die heilsame Kraft der Kommunikation in ihren verbalen und in ihren nonverbalen Ausprägungen alles andere als neu. „Erst das Wort, dann die Arznei, dann das Messer” soll Hippokrates 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung die Ärzteschaft gelehrt haben.

„Dargebotene Suggestionen werden bei großer psychischer Belastung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wirksam. Man spricht dann von hoher Suggestibilität”

Dass Worte und Zuwendung wohltuend, beruhigend und stärkend sein und manchmal den entscheidenden Impuls für Entwicklungen geben können, ist eine ebenso grundlegende Erfahrung für jeden Menschen wie die Tatsache, dass Worte auch verheerend und zerstörerisch sein können, insbesondere wenn sie auch noch mit Abwendung verbunden sind. Bernard Lown formuliert dies so: „Worte sind das mächtigste Werkzeug, über das ein Arzt verfügt. Worte können allerdings – wie ein zweischneidiges Schwert – sowohl tief verletzen als auch heilen.”

Erhöhte Suggestibilität bei psychischer Belastung

Als Hypnotherapeutin interessiert mich besonders der Aspekt, dass Kommunikation immer suggestiv ist, auch wenn vermeintlich „rein sachliche” Informationen vermittelt werden. In der Onkologie spielen gerade dann nonverbale Aspekte der Mitteilung eine besonders große Rolle.
Suggestion. Im deutschen Sprachgebrauch hat der Begriff „Suggestion” eine eher problematische Bedeutung. „Du willst mir etwas suggerieren” meint zumeist „Du willst mir etwas unterjubeln, was ich gar nicht will und dann mache ich das trotzdem”. Im Englischen und Französischen bedeutet „suggestion” Vorschlag, Anregung, Hinweis. In diesem Sinne wird der Begriff in der Hypnotherapie verstanden und so verwende ich ihn auch in diesem Text. Wir sind im Alltag ständig Suggestionen ausgesetzt und können im psychisch ausgeglichenen Zustand sehr wohl entscheiden, ob wir Suggestionen annehmen oder ob wir sie ablehnen. Schließlich kaufen wir nicht alles, was uns tagsüber in der Werbung begegnet, manches aber erscheint uns attraktiv. Im psychisch belasteten Zustand stellt sich dies allerdings anders dar. Die Fähigkeit zu entscheiden, was wir in uns zur Wirkung kommen lassen wollen, ist herabgesetzt und im Extremfall gar nicht mehr möglich.

Das ist deshalb so wichtig, weil bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie Krebs aufgrund der psychischen Belastung sowohl bei Patienten als auch bei Angehörigen sehr häufig eine hohe Suggestibilität besteht und deshalb hinsichtlich der kommunikativen Fähigkeiten besondere Anforderungen an die Behandler gestellt sind.

Erschwerte Umsetzung von Verneinungen

„Stellen Sie sich bitte keinen Tannenbaum vor!” Will man dieser Aufforderung Folge leisten, müssen sowohl das unwillkürlich auftauchende Bild als auch die dazugehörenden Emotionen weggeschafft werden. Bei erhöhter Suggestibilität ist diese Umsetzung einer Verneinung erschwert oder manchmal auch gar nicht möglich.

”Hilfreiche Suggestionen können stärkend wirken!”

Unnötige Verneinung. Gleichzeitig scheint es den meisten Menschen leichter zu fallen, das zu sagen, was wahrscheinlich nicht eintreten wird, als das, was ihrer Meinung nach geschehen wird. Das führt leider häufig zu unnötigen und unbeabsichtigten psychischen Belastungen. Das kann beispielsweise ein Arzt sein, der wohlmeinend seinem Patienten sagt: „Sie brauchen keine Angst zu haben, Sie werden an dieser Krankheit mit ziemlicher Sicherheit nicht sterben”…– oder ein Angehöriger, der eindringlich beschwört: „Du darfst dich jetzt nicht hängen lassen!”

Unterstützende Sätze. Viel hilfreicher wären Sätze wie: „Sie haben sehr gute Chancen, wieder gesund zu werden. Alle Behandlungen, die Sie bekommen, dienen Ihrer Heilung.” Und der Angehörige würde wahrscheinlich eher unterstützen mit: „Du kannst dir ruhig eine Zeit des Rückzugs und der Erholung gönnen. Sobald du wieder die Kraft dazu hast, wirst du von selbst wieder aktiver werden. Wenn du willst, dass wir dich dabei unterstützen, gib uns Bescheid.” Das sind einfache und unterstützende Sätze, die ermutigen, anstatt Druck und Angst zu erzeugen.

Erschwerte Unterscheidung zwischen sich und anderen

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Kommunikation bei erhöhter Suggestibilität ist das Phänomen, dass die Unterscheidung zwischen sich selbst und anderen erschwert sein kann. Das, was anderen geschieht, erscheint als ob es einen selbst beträfe. Im schwer erkrankten Mitpatienten wird bereits die eigene vermeintliche Zukunft gesehen, selbst wenn die Erkrankungen sehr unterschiedlich sind. Erst wenn die notwendige Differenzierung zu anderen Lebens- und Leidensgeschichten wieder zumindest im Ansatz gelingt, kann der Besuch einer Selbsthilfegruppe oder ein Aufenthalt in einer Reha-Klinik als unterstützend erfahren werden. Die psychoonkologische Begleitung kann dabei hilfreich sein und den erwünschten Prozess beschleunigen.

Belastende Suggestionen können aufgelöst werden

Auch wenn es wünschenswert wäre, dass alle Behandler, Familienangehörige und Freunde über Grundkenntnisse hilfreicher Kommunikation verfügen würden, bleibt dies eine Utopie. Immer wieder werden Gesprächssituationen eintreten, die nicht hilfreich verlaufen und belastende Suggestionen beinhalten. Wir sind diesen Suggestionen aber nicht hilflos ausgeliefert. Hilfreiche Suggestionen können daneben gestellt werden und schließlich kann man einiges dazu beitragen, sich so zu stärken, dass die Wahlmöglichkeit, ob Suggestionen wirksam werden, wieder besteht.

Dazu ein Beispiel: Eine Klientin trägt in sich den unheilvollen Satzfetzen eines Behandlers mit sich und bringt ihn tagelang nicht mehr aus dem Kopf. In einer immer wiederkehrenden Schleife erklingen die Worte in ihr und führen sie immer wieder in große Angst und Hoffnungslosigkeit. Als ein Elektriker zu ihr nach Hause kommt, entschuldigt sie sich, dass sie ihn wegen einer solchen Lappalie bemüht, und sagt: „Ich bekomme eine Chemotherapie, von der mir schwindlig ist, deshalb kann ich das jetzt nicht selbst machen.” Der junge Mann hält inne, schaut sie an und sagt: „ne Chemo?... Da kann man sich schon mal ne Platte machen. Aber es hilft. (Für Nichtberliner: „sich ne Platte machen” heißt: sich den Kopf über etwas zerbrechen.) Der Elektriker wendet sich wieder ab und arbeitet weiter. Von diesem Moment an erklingen die Sätze des Handwerkers in ihr. Und es geht ihr viel besser.

Was ist zwischen diesen beiden Menschen passiert? Er hat mit ihr zwischenmenschlichen Kontakt aufgenommen, indem er sich ihr zuwendet und ihr in die Augen blickt, außerdem hat er offensichtlich mit der Thematik Erfahrung. Dies zusammen mit ihrer ohnehin erhöhten Suggestibilität begünstigt, dass sie seine Suggestion, seinen Vorschlag annehmen kann. Und er hat das gesagt, von dem er glaubt, dass es kommen wird. Er hat nicht gesagt, was nicht geschehen wird.

”Wir haben alle Möglichkeiten, uns mit genau dem zu versorgen, was wir uns wünschen und was wir brauchen.”

In Beziehung treten. Diese minimalen Grundkenntnisse der Kommunikation sind im medizinischen Kontext bereits sehr hilfreich und ihre Beachtung vermeidet so manche unbeabsichtigte psychische Belastung. Zusammen mit der Bereitschaft der Behandler mit ihren Patienten in Beziehung zu treten, Verständnis für individuelle Besonderheiten zu haben, können unterstützende Impulse gegeben werden, um Menschen durch schwierige Zeiten begleiten zu können.

Und was kann ich selbst für mich tun?

Wir denken den ganzen Tag so vor uns hin und sprechen mit unserer inneren Stimme Monologe, führen Dialoge, Streitgespräche usw. Denken ist nichts anderes, als innere Selbstgespräche zu führen. Für diese innere Kommunikation gelten die beschriebenen Aspekte genauso. Damit eröffnet sich ein großes und spannendes Feld, in dem wir für uns selbst etwas tun können. Interessant wird es, einmal zu beobachten, wie diese verlaufen, welche Worte wir wählen, welchen Tonfall wir anschlagen. Sind wir fürsorglich, beruhigend, tröstend, humorvoll, liebevoll? Oder eher streng, drohend, antreibend oder geringschätzend?

Tatsächlich ist aber kaum jemand so streng und unerbittlich mit uns wie wir selbst. Es lohnt sich also einmal genau hinzuhören und versuchsweise eventuell belastende Sätze mit unterstützenden auszutauschen. So wie es Sätze oder Worte gibt, die beängstigend wie eine hängen gebliebene Schallplatte immer wieder in uns erklingen, gibt es wohltuende, stärkende Worte, die wir in uns erklingen lassen können.

Übungsbeispiel

„Bleib ruhig und sicher. Alles, was Du brauchst, ist da.” Oder: „Was auch passieren mag. Ich werde das Beste daraus machen.”
Im Atemrhythmus gesprochen, das heißt in die Phase des Ausatmens, pausieren beim Einatmen, führen diese individuell formulierten Sätze in eine stärkende Selbsthypnose, die zum Beispiel zu Hause, in der Bahn oder im Wartezimmer genutzt werden kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es dringend erforderlich ist, dass Behandler aller Berufsgruppen in der Onkologie sich mindestens mit den Grundlagen hilfreicher Kommunikation beschäftigen. Die Möglichkeiten der hypnosystemischen Kommunikation bieten dafür eine effektive Möglichkeit. Außerdem ist es sinnvoll, Patienten und Angehörige mit einfach zu handhabenden Grundlagen von Kommunikation und Autosuggestion vertraut zu machen. Dies kann beispielsweise durch psychosoziale bzw. psychoonkologische Begleitung erfolgen.

Zur Person

Elvira Muffler ist Diplom-Sozialpädagogin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Supervisorin und Psychoonkologin. Praxis für Psychotherapie und Supervision in Berlin, Leiterin der MEG Wandlitz, Regionalstelle der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose, Geschäftsführung von Krebsberatung Berlin-Brandenburg e.V., Referententätigkeit für Seminare, Workshops und Vorträge.

Zum Weiterlesen

Ebell, Hansjörg: Krebserkrankungen. In: D. Revenstorf u. B. Peter (Hrsg): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. S. 673–691. Springer (2009)
Lown, Bernard: Die verlorene Kunst des Heilens. Schattauer (2004)
Muffler, Elvira: Hypnosystemische Interventionen zur Symptomlinderung in der Onkologie. In: C. Diegelmann u. M. Isermann (Hrsg.): Ressourcenorientierte Psychoonkologie. 2. Aufl., S. 244–251. Kohlhammer (2010)
Muffler, Elvira (Hrsg.): Kommunikation in der Psychoonkologie. Der hypnosystemische Ansatz. Carl Auer (2015)
Information für Behandler zum Curriculum „Hypnosystemische Kommunikation” unter www.meg-hypnose.de

Dieser Artikel von Elvira Muffler erschien in Heft 2/2017 unserer GfBK-Mitgliederzeitschrift „momentum - Gesund leben bei Krebs” .

Kontakt

Muffler Elvira

Elvira Muffler, Praxis für Psychotherapie, Supervision und Coaching,
Merseburgerstraße 7, 10823 Berlin (Schöneberg),
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.elvira-muffler.de, www.meg-wandlitz.de


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©iStock, 1210358928, nortonrsx
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