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© Sybille Urban

Die innere Stimme

Sybille Urban in Signal 3/2014

Seit über fünfzehn Jahren betreute ich Patienten in der Onkologie. Daher war es für mich einfach, einen Arzt meines Vertrauens zu finden, als ich im Mai 2011 eine Schwellung in meiner Achselhöhle ertastete. Ich wandte mich an unseren leitenden Oberarzt. Er wusste sofort, was zu tun war und leitete alle notwendigen Schritte zur Abklärung in die Wege. Ein paar Tage später sagte er mit ernster Miene und besorgter Stimme: »Liebe Frau Urban, ich fürchte, jetzt hat es Sie selbst erwischt. Die Befunde weisen auf eine Tumorerkrankung hin. Nun müssen wir klären, ob es bösartig ist.«

Ich weiß nicht mehr, wie ich an diesem Tag nach Hause gekommen bin. Dass die Situation ernst war und ich mich auf einiges gefasst machen musste, sagte mir meine innere Stimme. Zu ihr hatte ich schon immer einen guten Zugang.

Nun setzte ich mich mit einem Professor der Onkologie in Verbindung, den ich aus einer früheren Zusammenarbeit kannte. Anstelle einer Biopsie entschied ich mich für eine PET und eine sofortige Operation. Der PET-Befund zeigte einen Tumor in der rechten Brust, der etwa drei Zentimeter groß war, und fünf befallene Lymphknoten.
Prof. D. vereinbarte einen OP-Termin für mich. Ich war noch nicht einmal in der Lage zu begreifen, dass ich von der Rolle der Therapeutin, welche ich als meine Lebensaufgabe sah, plötzlich in der Rolle der Patientin gelandet war. Der Chirurg besprach mit mir die bevorstehende Operation und versuchte, mir Mut zu machen. Er gehe davon aus, so sagte er, dass der Tumor gutartig sei. An diese Vorstellung klammerte ich mich am Abend vor der Operation. Als ich nach der OP erwachte, hatte ich einen festen Verband, der über meinen rechten Arm reichte, und starke Schmerzen. Am frühen Nachmittag besuchte mich der Operateur in Begleitung des Oberarztes. Ich war noch sehr erschöpft und dementsprechend gelassen als Dr. K. mir das Ergebnis des Eingriffs mitteilte: Ich hatte ein entzündetes Mammakarzinom mit ausgedehnter Lymphangiosis carcinomatosis. Das heißt, die Tumorzellen waren bereits in die Lymphgefäßbahnen eingewandert. 24 Lymphknoten waren betroffen! Weltweit sind nur ca. zwei Prozent der Brustkrebs-Patientinnen auf diese Art erkrankt. Die Ärzte befanden in einer Spezialistenkonferenz (Tumorboard), dass eine sofortige Chemotherapie unumgänglich sei.

Chemotherapie? Niemals!

Viele Menschen habe ich durch ihre Chemotherapie begleitet. Mit meinen Visualisierungsübungen konnte ich oft helfen, die Nebenwirkungen zu reduzieren und manchmal ganz zu vermeiden. Dennoch war für mich persönlich immer klar, dass ich für mich niemals einer solchen Therapie zustimmen würde. Drei Tage später verließ ich, immer noch sehr geschwächt, die Klinik und begab mich zu Prof. D. Er würde irgendeinen für mich tragbaren Therapieansatz finden. Meine Einstellung zur Chemotherapie kannte er aus persönlichen Gesprächen und er hatte bereits eine Alternative parat. Blind vor Todesangst war ich sofort bereit, alles zu machen – Hauptsache keine Chemotherapie. Ich stellte mich als Studienteilnehmerin für ein Medikament zur Verfügung, das bisher noch nicht bei Menschen erprobt worden war. Angeblich hatte es keine Nebenwirkungen. Die Folgen waren fatal. Mein Zustand verschlechterte sich dramatisch. Die rechte Brust war geschwollen und feuerrot! Die Überdosis an Säure, welche mir als Therapie verabreicht wurde, war geradezu Nahrung für mein entzündliches Krebsgeschehen. Nach drei Wochen brach ich die Therapie ab. Ich war enttäuscht und verzweifelt. Zu Hause, in der vertrauten Umgebung, fand ich die Kraft, meine Befunde zu studieren und mich mit der Angst auseinander zu setzen. Endlich besann ich mich auf die Arbeit und machte mir bewusst, wie ich meine Patienten motiviert hatte. Diese Fähigkeiten musste ich nun auf mich selbst übertragen und meine eigenen Ratschläge befolgen. Ich begann, ein Tagebuch zu schreiben und den Kontakt zu meiner Seele zu suchen. Wie konnte sich eine so schwere Krankheit unbemerkt in mir ausbreiten? Diese Frage beschäftigte mich jede freie Minute. Gebete, Meditation und Selbstreflektion halfen mir auf der Reise durch meine Vergangenheit. Alles gut Verdrängte wur de »geborgen« und genau angesehen. Meine physische Erkrankung geriet in den Hintergrund. Ich musste den Heiler in mir finden, wenn ich überleben wollte. Zwischenzeitlich hatte ich erfahren, dass die Onkologie für diese seltene Krebsart kein passendes Therapiekonzept hat, sondern nach Standard für Brustkrebs therapiert. Seelisch weitgehend wieder stabilisiert, begann ich, weltweit nach Therapiemöglichkeiten zu forschen.

Der Krebs war schneller

Bevor ich eine aus meiner Sicht sinnvolle Therapie finden konnte, hatte ich im September 2011 das erste Rezidiv. Die Lymphangiosis breitete sich bis zum Hals hin aus. Zu dieser Zeit hatte ich bereits meine eigene Todesangst gut im Griff. Sie hatte keine Macht mehr über mich. Aber für mein panisches Kind musste ich irgendetwas Sichtbares tun. Daher begab ich mich zu einem Onkologen in meiner Umgebung mit hervorragendem Ruf. Er klärte mich sehr bestimmt darüber auf, dass ich in kürzester Zeit sterben würde, wenn ich nicht unverzüglich eine Chemotherapie machen würde. Das war eine klare Ansage. Im Dezember 2011 starteten wir mit dem ersten von sechs geplanten Zyklen. Ich erhielt die maximal vertretbare Dosis. Trotzdem konnte ich mit den Nebenwirkungen, dank meiner wieder gewonnen inneren Stärke, ganz gut umgehen. Das Schmerzvollste war der Verlust meiner langen, blonden Haarmähne. Die optische Veränderung stellte meine Psyche noch einmal auf den Prüfstand. Doch auch diese Herausforderung meisterte ich und mein tägliches Übungsprogramm machte mich zusehends stärker. Ich konnte die Situation so annehmen, wie sie war. Mit dem Schreiben eines Ratgebers habe ich angefangen, als ich ruhigen Gewissen sagen konnte »Ich bin stärker!«.
So beobachtete ich sehr genau, wie die Chemotherapie auf das 2,5 cm große Rezidiv wirkte. Nach dem dritten Zyklus fühlte ich, wie sich etwas wie eine »Perlenkette « unter meiner Achsel auszubreiten begann. Meinen Onkologen machte ich auf meine Wahrnehmung aufmerksam. Er untersuchte die beschriebene Stelle per Ultraschall und befand, dass es sich um abgestorbenes Tumor- und Narbengewebe handeln musste. Mein Arzt war felsenfest von der Wirkung der Therapie überzeugt und konnte mich immer wieder beruhigen. Wenn meine innere Stimme etwas anderes sagte, wurde sie von seiner Logik und Erfahrung übertönt. Tapfer kämpfte ich mich bis zum fünften Zyklus durch. Ich freute mich auf die PET, die darüber Auskunft geben sollte, ob die Chemo alles vernichten konnte, oder ob man gegebenenfalls einen Rest operativ entfernen musste. Laut Untersuchungsergebnis war nur noch ein ganz kleiner Rest vorhanden. Alles wunderbar! Wäre da nicht meine innere Stimme gewesen, die mir ständig versuchte, etwas anderes zu sagen. Kurz vor dem letzten Zyklus hatte Dr. H. schon einen Chirurgen im Brustzentrum kontaktiert, der die kleinen Restbestände des Rezidivs entfernen sollte.

Warum hast Du nicht auf mich gehört?

Anfang Mai 2012 wollte ich frohen Mutes meinen letzten Zyklus der Chemotherapie starten, als ich plötzlich entdeckte, dass meine Brust wieder feuerrot und geschwollen war! Ich war innerlich vollkommen aufgewühlt. Panik machte sich breit. Dr. H. entschied, auf den sechsten Zyklus zu verzichten und die Operation vorzuziehen. Am nächsten Tag erfolgte eine Kernspintomografie mit Kontrastmittel. Das Untersuchungsergebnis war grauenvoll. Das ursprünglich 2,5 cm große Rezidiv hatte sich während der Chemo auf 11 × 7 cm ausgedehnt. Ein Teil war in die Thoraxwand eingedrungen, ein anderer Teil in den großen Major-Muskel. Ich sah mir die Bilder an und war ganz ruhig. Fast so, als ginge mich das hier alles nichts an. Wie in Watte gebettet verließ ich die Praxis und setzte mich erst einmal in ein Café. »Warum hast Du nicht auf mich gehört?«, meldete sich meine innere Stimme klar und deutlich. Ich wurde wütend. »Hier war der erfahrene Onkologe, die guten Blutwerte, eine so gut wie unauffällige PET! Verdammt viele Fakten im Vergleich zu der feinen inneren Stimme!«, verteidigte ich mich.
Nur nicht auch noch Schuldgefühle aufkommen lassen. Jetzt musste ich vor allem stark sein für die Operation. Am nächsten Morgen fuhr ich in das Brustzentrum, um mit dem Chirurgen zu sprechen. Er und die Leiterin des Zentrums schauten sich meine dick geschwollene rechte Brust und den Radiologiebefund sehr genau an. Nach einer Beratung unter vier Augen befanden die Fachleute, der Tumor sei nicht operabel. Ich wollte nur noch nach Hause, Ruhe und die Situation in ihrer ganzen Tragweite verarbeiten. Als ich meinem Onkologen von der Lage berichtete, überreichte er mir eine Packung Hormonblocker und versprach mir, noch weitere Überlegungen anzustellen. Für mich war das alles kein Thema mehr, ebenso wenig wie die zuvor angebotene Umstellung auf eine neue Chemotherapie. Ich musste die Krankheit auf einer anderen Ebene anpacken und eine wie auch immer geartete Therapie finden. Vor allen Dingen durfte ich nicht wieder in Angst verfallen.

Ein Therapeut mit feuchter Schnauze

Im Internet stieß ich auf eine Infoseite über Delfintherapie. Genau das war es. Trotz meiner physischen Situation waren sofort wieder alle Lebensgeister erwacht. Ich fuhr sofort in das nächste Reisebüro und reservierte einen Flug in die Türkei. Das Delfinschwimmen konnte ich telefonisch buchen, alles lief wie geschmiert. Zehn Tage später befand ich mich in Marmaris und fühle mich so frei und glücklich wie schon lange nicht mehr. Nur mein Körper konnte mir nicht so schnell folgen. Vor Ort ereilte mich eine Lungenentzündung. Unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen schleppte ich mich zum Meeresbecken. Ich war fest entschlossen, trotz aller körperlichen Widerstände in das Wasser zu gehen. Da sah ich sie auch schon! Zwei Delfine zogen ihre Kreise und spielten miteinander.
Mir fiel ein, dass ich im Grunde gar nicht wusste, was ich hier wollte. Ich musste über mich selbst lächeln. Ich war meiner inneren Stimme gefolgt.  Jonas, mein Delfin, machte es mir leicht. Er legte sich auf den Rücken und ich wurde aufgefordert, dasselbe zu tun und meinen Arm um seine Flosse zu legen. Es war ein herrliches Gefühl. Ganz ruhig lag er da und schaute mich mit seinem wunderschönen Auge von der Seite an. Er hatte sich voll und ganz auf mich eingelassen und ich mich auf ihn. Ganze Sturzbäche von Tränen schossen plötzlich aus meinen Augen. Ganz so, als wäre irgendetwas in mir aufgebrochen. Als ich die Anlage verließ, hatte ich so gut wie keine körperlichen Schmerzen mehr. Ich blieb zwei Wochen bei Jonas. Bei der Rückreise war meine schwere Lungenentzündung fast gänzlich ausgeheilt. Im Februar 2013 unterzog ich mich einer PET-Untersuchung, um eine Vorstellung von meinem Krankheitsverlauf zu bekommen. TOTALREMISSION!!

Text: Sybille Urban

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©iStock, 1210358928, nortonrsx
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