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© Traudel Beickler

Eine Begegnung der besonderen Art

Traudel Beickler in Signal 3/2013

Als ich am Morgen des 5. Mai 2007 erwachte, lag ich in einer Blutlache. Ich rief sofort meinen Gynäkologen an und zwei Stunden später saß ich in seiner Praxis. Die Ultraschalldiagnostik ergab, dass ein Myom in der Gebärmutter abgeblutet war. Mir stand eine Ausschabung bevor. Zu Hause regelte ich alles Notwendige mit meinem Mann, den drei Kindern und meinen Eltern und fand mich vier Tage später im Krankenhaus in Heidelberg ein. Mein Arzt, der von einem kurzen Routineeingriff sprach, ließ mich keine weiteren Gedanken verschwenden.

Er hatte dort Belegbetten und ich großes Vertrauen zu ihm. Der Eingriff unter Vollnarkose sollte ambulant geschehen. Am Tag danach meldete sich mein Gynäkologe und bat mich zu einem Nachgespräch über die histologische Untersuchung. Erst hier konfrontierte er mich mit dem Befund.

Bei der Ausschabung entdeckte er hinter dem entfernten Myom in der Gebärmutterwand ein gut getarntes, etwa murmelgroßes Sarkom. Die Zelluntersuchung im Labor bestätigte das: Ein Zufallsbefund. Der Arzt sagte: „Das müssen wir operieren!” Zu Hause recherchierte unsere Tochter im Internet zu diesem Sarkom, und wir fielen aus allen Wolken: Diese Krebsart ist schnellwachsend und äußerst bösartig. Ein paar Tage später befand ich mich wieder im Krankenhaus. Diesmal auf unsicherem Terrain: Die Fäden, die mich bisher im und am Leben hielten, schienen gekappt. In der Nacht stand ein schwarzgekleideter Mann mit Hut lange neben meinem Bett. Nach sechsstündiger Totaloperation mit Entfernung des großen Netzes beförderte das Gynäkologen-Chirurgen-Team ein Leiomyosarkom ersten Grades zutage, das durch die Ausschabung angekratzt worden war.
Die gute Nachricht lautete, dass der Knoten noch verkapselt war und nicht gestreut hatte. Andererseits beunruhigte mich die Frage: Sind durch die Verletzung des Sarkoms doch Zellen in die Blutbahn gelangt, die sich vermehren und Metastasen bilden können? Das anfängliche Glück, das Sarkom entdeckt zu haben, verwandelte sich in Sorge und Angst, die mir keiner nehmen konnte. Der zuständige Arzt betonte die Seltenheit dieser Krebsart. In 30 Jahren Erfahrung war er ihm erst dreimal begegnet. Es wurden Laborkulturen an verschiedene Forschungslabors in Berlin und die USA verschickt. Ich war etwas Besonderes. Es folgte eine Anschluss-Reha an dem Ort, an dem ich damals mein erstes Kind geboren hatte ... War das ein Zufall? Nach den Sommerferien, im September, nahm ich meine Arbeit als Physiotherapeutin und systemische Familientherapeutin wieder auf. Es ging mir zunehmend besser und ich entschied mich sogar für eine Erweiterung meines Arbeitsfeldes. Mir wurde eine neue Aufgabe angeboten, die ich schon immer lernen und ausführen wollte.

Die Angst kam mit Wucht zurück

Im Rahmen der dreimonatigen MRTKontrollen wurde Mitte Dezember 2008 in der Kernspintomografie ein Schatten auf der Leber entdeckt. Nach zwei Jahren war der Krebs zurück. Gleichzeitig zeigte die Computertomografie des Brustraums (CT-Thorax) viele kleine Streuherde in der Lunge. Mein Onkologe, der mich aufgrund des erschütternden Befundes schon aufgegeben hatte, empfahl mir eine Leberbiopsie. Ein anderer Facharzt für Sarkome riet ab: Das mögliche Sarkom lag an einer gut durchbluteten Stelle in der Nähe eines großen Gefäßes. Sowohl die Verletzungs- als auch die Streuungsgefahr waren zu groß. Außerdem sollte auf jeden Fall operiert werden, warum dann nicht gleich. Diesmal flog ich aus der Umlaufbahn: Ich war vom Tod bedroht!
Die Operation erfolgte in Mannheim und mein Professor war ein positiv denkender Mensch: »Wir machen jetzt den ersten Schritt, das ist die Leber-OP. Dann sehen wir weiter.» Im Februar 2009 wurde ich operiert. Wie erwartet fand man eine Metastase auf der Leber. Nach zehn Tagen war ich wieder zu Hause, für die psychische Regeneration brauchte ich Jahre. Meine Arbeit nahm ich nicht wieder auf. Diesmal suchte ich nach Behandlungsalternativen, zumal diese Krebsart weder auf Chemotherapie, noch auf Bestrahlung oder Hormontherapie ansprach. Ich nahm Kontakt zur Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr in Heidelberg auf, versuchte zu entgiften und mein Immunsystem, vor allem im Magen-Darm-Bereich zu stabilisieren. In der zweiten Reha übte ich mich im Gespräch mit anderen Betroffenen, in Qigong und Meditation und stellte meine Ernährung völlig um: Kaum Kohlenhydrate, kein Zucker, gute Öle und Fette, nach dem Prinzip von Dr. Coy. Jeden Morgen aß ich mit Lust ein Budwig-Müsli, war viel an der frischen Luft und trieb wieder Sport. Zu Hause suchte ich mir parallel begleitend psychologische Unterstützung. Meine Familie war die größte Stütze.
Ich war bereit für den nächsten Schritt. Ein Vergleichsbild des Lungenfacharztes vom Brustraum vor fünf Jahren ergab, das sich hier schon Kalkablagerungen zeigten. Im Laufe meines Lebens hatte ich unzählige Entzündungen der Bronchien durchgemacht. Das war die Ursache für die winzigen Knötchen in der Lunge. Keine Metastasen! Im April 2009 wurde ein sogenannter Kalter Knoten im rechten Schilddrüsenlappen entdeckt und wieder auf Verdacht operativ entfernt. Es war keine Metastase, was an dieser Stelle ohnehin äußerst selten gewesen wäre.

Das Vertrauen im Rücken spüren

Seitdem ist in den vergangenen vier Jahren keine Metastase mehr aufgetaucht. Meine letzte Kontrolle des Bauchraums mittels MRT und CT-Thorax war im März 2013. Mein Professor spricht von einem »untypischen Verlauf«.

Das Leben hat's in sich

Mein Leben hat sich mit fast 60 Jahren sehr verändert. Seit 2010 betreue ich die Rückenschule für ältere Menschen in einem Wohnprojekt. Ich habe Freude am Leben, singe allein und mit anderen, arbeite im Garten, gehe wandern und schwimmen. Gerne spiele ich mit meinem Enkel und verbringe Zeit mit meinen Eltern. Das Schreiben, das mich von Jugend an begleitet hat, ist zu einem zentralen Lebensgefühl geworden. Rückblickend versuche ich so das Leben und meine darin enthaltenen Erfahrungen besser zu verstehen und weiterzugeben. Meine Gefühle und damit meine Lebenseinstellungen im Umgang mit Entscheidungen und im Kontakt mit anderen Menschen sind klarer, tiefer und abgegrenzter geworden. Also folge ich jetzt einer Erkenntnis: die der Wertschätzung von allem Lebendigen und ich im Fluss mitten drin. Alles ergibt diesen tieferen Sinn, nachdem ich lange gesucht habe. Der Krebs hat mir beim Aus- und Umsteigen entscheidend geholfen. Heute ordne ich ihn in mein Leben ein, ohne ihn zu brauchen, und fühle mich gesünder und liebesfähiger als früher. Das Bewusstsein über die Endlichkeit hat mir Türen ins Jenseits geöffnet. Selbst die Angst ist eine gute Freundin geworden. An ihrer Seite stehen die Dankbarkeit und die Zuversicht. Wenn wir drei uns treffen, ist es die reinste Freude! Ich habe noch viel zu lernen. Auf dem Weg »menschlicher zu werden« begegnet mir in einem inneren Bild immer öfter eine wesentliche Triade: Auf einem geschlungenen Feldweg sehe ich drei ältere Frauen. In der Mitte die Traurigkeit, rechts untergehakt die Liebe und links die Wut. Im Rücken das Vertrauen, dass ich jederzeit fallen kann, ohne zu zerbrechen. Beim langsamen Gehen legt sich der Weg, mein Weg, unter meine Füße. Vor mir liegt die Landschaft die ich sehe, rieche und höre. Ich fühle mich reich beschenkt.

Am See im August

Zwei Jahre hat die Angst mich festgehalten,
jetzt schwimme ich wieder hinaus
in die Mitte des Sees.
Meine Seele leuchtet.
Wasser und Himmel nehmen mich auf.
Die Angst hat mich verlassen.
Erregt schwimme ich in die neue Mitte,
mir meiner selbst bewusst.
Tauche ein in das Geschenk der Hingabe.
Tiefes Glücksgefühl in kühler Wachheit!
Neu gewonnene Freiheit:
Alle vier Ufer laden mich ein.
Ich kann mir meinen Strand aussuchen.
Weiß, dass ich ihn leicht erreichen kann.
Werde ankommen, selbst wenn ich sterbe.
(aus ÜBER-LEBENS-ZEICHEN von Traudel Beickler)

Text: Traudel Beickler

 

Information zu unseren Betroffenenberichten

Wir freuen uns, wenn Patient:innen ihren individuellen und persönlichen Genesungsweg finden. Das ist ein Ausdruck des großen Heilungspotenzials in jedem Menschen. Gerne teilen wir diese Erfahrungen mit unseren Leser:innen, auch wenn persönliche Entscheidungen nicht immer auf andere Betroffene übertragbar sind. Sie entsprechen auch nicht in jeder Hinsicht einer konkreten Empfehlung der GfBK für Patient:innen in ähnlicher Situation. Wägen Sie sorgfältig ab, welche Impulse aus den Patient:innenberichten für Sie in Ihrer aktuellen Lage passend sind. Besprechen Sie diagnostische oder therapeutische Maßnahmen im Zweifel gerne mit unserem ärztlichen Beratungsdienst.

©iStock, 1210358928, nortonrsx
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