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© Liesel Polinski

Hauptsache gesund!?

Liesel Polinski in Signal 1/2011: Liesel Polinski,

 Im Schwimmbad unter der Dusche morgens um sieben. Eine Dame beglückwünscht eine andere zum 75. Geburtstag: „Ich gratuliere Ihnen herzlich und wünsche Ihnen vor allem Gesundheit. Sie sind doch gesund, oder?” „Ja!” „Gesundheit ist doch das Allerwichtigste!”. Solche Sprüche hört man häufig, wenn man nicht mehr die Jüngste ist. Aber ist Gesundheit wirklich die Hauptsache im Leben?

Wenn Gesundheit das Wichtigste ist, fehlt mir das Wichtigste schon mit gut 60 Jahren. Stimmt das so? Mir geht es im Moment sehr gut. Nach schweren Operationen, monatelanger Infusionsnahrung endlich wieder schwimmen können! Keine Portnadel mehr! Mir geht es klasse! Ich habe zwar nicht meine 1000 Meter wie früher geschafft, aber das Schwimmen hat mir Spaß gemacht. Eine kleine Freude habe ich noch einem Herrn bereitet, dem ich früher immer davon geschwommen bin: Heute war er schneller. Ich schmunzle über seine stolzgeschwellte Brust: „Freue dich ruhig, sowie ich kannst du dich gar nicht freuen!”

„Gesundheit ist gewiss nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts”. Ist mein Leben ein Nichts? Nach Operationen war das Wichtigste, meinen Körper nicht zu fühlen, das hieß, keine Schmerzen zu haben. Wenn es mir besser ging, war das Wichtigste bei Bewegungen schmerzfrei zu sein. Sich selbst waschen und anziehen zukönnen, ist wichtig. Wieder Kraft für das alltägliche Leben zu haben, ist wichtig.

Hurra, ich lebe immer noch!

Das ist doch nichts Besonderes, werden Sie vielleicht denken – für mich schon. 1986 erhielt icheine Krebsdiagnose: Stroma Sarkom in der Gebärmutter. Es wurde sofort operiert. Ich war damals 36, meine Kinder waren 12 und 7 Jahre alt. Der erste Schock ließ mich den ärztlichen Willen gehorsam befolgen. Ich bekam eine Hormonspritze, ohne gefragt zu werden. Zuhause war ich mit den Ängsten meines Umfelds konfrontiert. Mein Mann riet zur Kur. Natürlich wollte er, dass etwas für mich getan wird. Doch ich war hochgradig verunsichert und hatte das tiefe Bedürfnis, als erstes wieder Normalität mit den Kindern zu leben. In Ruhe wollte ich meinen Weg finden. Als ich wieder zu Kräften kam, fing ich an, eigene Entscheidungen zu fällen: „Hormone nehmen will ich nicht”. Ich wollte gesünder essen und mehr auf mich achten. Die Themen Krankheit, Leben und Tod beschäftigten mich intensiv. Anfangs habe ich oft geweint: Aus Trauer, dass ich meine Kinder vielleicht nicht groß werden sehe, aber auch aus Freude und Dankbarkeit zu leben und meinen Kindern noch Mutter sein zu können. Die Krankheit wertete ich als Chance, mein Leben zu überdenken. Jeden Tag wollte ich bewusst leben. Ich wusste ja nicht, wie viel Zeit mir noch bleiben würde.

9 Jahre ging alles gut

1995 waren Rezidive um die Blase gewachsen und Metastasen in beiden Lungenflügeln. Operationen folgten. Die Ärztein der Uni-Klinik gaben mir wenige Monate Lebenszeit. Sie wollten, dass ich eine Chemo macheund Hormone nehme. Ich lehnte beides ab, es fühlte sich für mich nicht stimmig an. In der Kur zwei Jahre später hinterfragte ein Arzt kritisch meine Diagnose und meinte, dass von Chemo und Bestrahlung bei meiner langsam wachsenden Tumorart wenig Erfolg zu erwarten sei. Ich fühlte mich bestätigt in meinem Gefühl, diese Therapien abzulehnen. 2001 waren Tumoren um den Darm gewachsen. Unzählige Metastasen im  Bauchfell waren inoperabel. Zum Glück unterstützte mich mein Mann, als mich ein „Chefonkologe” massiv anging, Chemotherapie und Bestrahlung zu machen. Ich fragte, was das bringt. Seine Antwort: „Das weiß man nicht”. „Aber ich weiß, dass ich damit mein Immunsystem belaste, obwohl es vielleicht gar nichts bringt und ich es jetzt nach der OP gerade brauche”. Er: „Wir müssen aber doch etwas tun!” Ich hütete mich davor, dem Aktionismus des Arztes zu folgen, der scheinbar gelernt hatte, dass er immer etwas machen muss, auch, wenn es nicht aussichtsreich ist. In einer alternativen Klinik wurde mein Immunsystemdurch Fiebertherapien aktiviert. Außerdem nahm ich Selen und ein Thymuspräparat ein.

Auf Messers Schneide

Im Sommer 2009 hatte mich der Krebs wiedereingeholt. Ich wusste, dass es dieses Mal auf Messers Schneide stand. Eine erneute Operation wurdevon den Ärzten als kaum möglich angesehen, da sich viele Tumoren im Bauchfell gebildet hatten. Ich habe mich der Angst gestellt und eine Patientenverfügung verfasst. Dann fand ich einen Arzt, der mit einem speziellen Elektroskalpell operiert. Der Eingriff dauerte mehr als neun Stunden. Vier Tage später eine Notoperation, die einen künstlichen Darmausgang zur Folge hatte. Dieser konnte drei Monate später zum Glück zurückverlegt werden. Es stellte sich heraus, dass mein Krebs hormonabhängig ist, und ich ihn (hoffentlich) los bin, wenn ich Antihormone nehme. Gut, dass ich nie Hormone genommen habe, obwohl viele Ärzte es von mir verlangten. Mein Gefühl hat mir den richtigen Weg gezeigt! Für mich ist es wichtig, Ärzte zu haben, die mir mit Empathie begegnen, meine Fragen nach bestem Wissen beantworten, und dann meine Entscheidungen akzeptieren. Wenn ich mich von einem Arzt nicht ernst genommen fühlte, habe ich mir einen gesucht,  der mit mir auf Augenhöhe kommuniziert. Wenn ich viel Kraft habe, schreibe ich Ärzten, für die es nur ihren Weg gibt, damit sie erfahren, dass ich noch lebe – auch mit oder gerade wegen meines eigenen Weges. Ich habe den Krebs angenommen, er ist ein Teil von mir, der mich nicht beherrscht, aber zu mir gehört. Meine Krebserkrankung hat mir mehr Tiefe und Reife gegeben. Es gibt Zeiten, in denen ich mein Leben nicht gelassen sehen kann. Eine Harnleiterschiene zwingt mir immer wieder kleine Operationen auf – meist ungeplant und durch Nierenkoliken ausgelöst. Dann hilft es mir manchmal, wenn ich allein bin, hemmungslos zu weinen. Danach fühle ich mich entlastet mit neuem Mut. Es gibt in meinem Leben viele schöne Momente, z. B. jetzt im Winter, wenn die Sonne scheint und ich am Fenster ihre Wärme genieße.

Dies ist mein Leben, ein anderes habe ich nicht

Ich tue das, was mir richtig erscheint, und freue mich über jeden Tag, der mir Möglichkeiten gibt, mich aufs Leben einzulassen, das zu tun, was mir wichtig ist ohne Schmerzen. Ich habe ein Gefühl von Endlichkeit,  das mich jetzt die Gegenwart genießen lässt und nicht erst wenn sie Vergangenheit geworden ist. Und ich führe auch keinLeben in der Warteschleife: „Wenn ..., dann ...”
Ich bin eine Sammlerin und forme oder male mit meinen Händen Figuren und auch Abstraktes (aus Holz, Papier und Kleister) oder gestalte etwas mit Blumen, Ästen, Muscheln und Steinen. Zum Beispiel habe ich auf eine bunt gemalte Leinwand Herzen geklebt, die ich geschenkt bekommen habe. Das sind Quellen meiner Kraft. Dankbar für die Unterstützung bin ich vor allem meinem Mann, meinen Kindernund guten Freunden. Ohne sie wäre ich nicht so zufrieden mit meinem Leben. Gesund bin ich zwar nicht, lebe aber gern im Hier und Jetzt. Die Kräfte sind weniger, und vieles ist nicht mehr möglich. Trotzdem gibt es ständig wieder Neues, Tolles und Freude zu erleben. Auch dass ich immer noch einige Stunden in meinem Beruf mit Eltern und Babys arbeite, erfüllt mich mit Freude. Es tun sich neue Möglichkeiten auf, wie diesen Artikelzu schreiben, obwohl die „Hauptsache gesund” für mich nicht mehr stimmt.

Text: Liesel Polinski

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©iStock, 1210358928, nortonrsx
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