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© Karen Abel

Leben als Palliativpatientin

Karen Abel in der momentum 1/2023

Unser heutiger Bericht ist insofern etwas ungewöhnlich, als wir eine Patientin zu Wort kommen lassen, die ihren Weg wie viele Leser*innen seit einigen Jahren mit der Erkrankung geht. Wer Karen Abel aus ihrem Podcast „Let‘s talk about cancer“ kennt, der weiß, dass es ihr ein Anliegen ist, zu zeigen, dass es sich auch mit dem Krebs leben lässt – voller Elan und Energie – und dass Heilung nicht immer das höchste Ziel sein muss. Denn auch das kann Stress verursachen.

Im März 2018 erhielt ich mit 47 Jahren und als Mutter einer 11-jährigen Tochter meine Diagnose. Nach vier Wochen starken Rückenschmerzen und als die Behandlungen mit Osteopathie, Akupunktur und Spritze nicht wirkten, bekam ich endlich ein MRT verordnet. Nun erkannte man einen gebrochenen Wirbel, als Nächstes im CT die Ursache: Eine Knochenmetastase im Lendenwirbel war für die Schmerzen verantwortlich. Ich kann mich noch erinnern, meinen Lebensgefährten angerufen zu haben, als ich diese Hiobsbotschaft erhielt, und daran, wie ich ihm wie gelähmt die Botschaft übermittelte: Metastase, das hat doch jeder schon mitbekommen, das ist die Endstufe bei Krebs.

Plötzlich Palliativpatientin

Jeder, der die Diagnose Krebs erhält, kennt das Gefühl der Hilflosigkeit und des Nicht-begreifen-Könnens. Als ich dann noch erfuhr, um welchen Primärtumor es sich handelte – Lungenkrebs –, konnte ich es nicht fassen. Diese Diagnose in so relativ jungen Jahren? Als Nichtraucherin?

Beruflich hatte ich zu der Zeit gerade einen neuen, aber befristeten Job. Als ich dann die Diagnose „palliativ“ erhielt, wusste ich nicht, „wie lange das noch gut gehen würde“, und entschied mich nach einem Jahr für die „Erwerbsminderungsrente“. Eine Anstellung ist mit dieser Diagnose utopisch, und andere Dinge – Familie und Leben – sind wichtiger.

Beim Wort palliativ hatte ich nur noch den „Tod“ vor Augen und die Hoffnungslosigkeit im Kopf. Eingebrannt hat sich der mitleidsvolle Blick der Assistenzärztin, die mir zusammen mit dem Onkologen die Nachricht im Krankenhaus übermittelt hat. In diesem Moment gab ich mir nur noch ein Jahr zu leben. Ich hätte mir im Nachhinein eine „positivere Arzt-Patientinnen-Kommunikation“ gewünscht. Die Ärzte haben mir damals nicht gleich, sondern erst nachdem ich nach dem Einholen einer Zweitmeinung um ein weiteres Gespräch gebeten hatte, ansatzweise mitgeteilt, was ich inzwischen weiß. Nämlich dass es durchaus möglich ist, den Krebs, wenn er teilweise nicht heilbar ist, in eine Art „chronische Krankheit“ umzuwandeln. Dafür werden immer mehr Therapien entwickelt, die sich von der klassischen Chemo wegbewegen, nämlich Immun- und zielgerichtete Therapien. Palliativ zu sein, heißt eben auch leben und nicht schnell sterben, wie ich es damals zuerst mit dem Begriff assoziiert habe.

Körper, Geist und Seele

Zum Glück habe ich über einen Podcast viel zum Thema ganzheitliche Medizin und Spiritualität gelernt und mich immer mehr damit auseinandergesetzt, indem ich viel darüber gelesen und auch mit dem Meditieren angefangen habe. Es ging um Ernährung bei Krebs, Persönlichkeitsentwicklung, mentales Training und Selbstheilung. Ich habe mich immer wieder inspirieren lassen und versuche nach wie vor, meinen eigenen Weg zu finden, was gar nicht so einfach ist, weil der „Markt“ der „ganzheitlichen Heilungswege“ so voll ist und jeder meint, die ultimative Lösung zu haben.

Ich bin davon überzeugt, dass Körper, Geist und Seele zusammengehören und dass Selbstheilung möglich ist. Aber letztlich kennt keiner die ultimative, allgemeingültige Antwort. Jeder Mensch und Körper ist anders – und was weiß ich als Mensch über meinen Seelenweg? Manche Dinge helfen dem einen, aber nicht dem anderen. In den ersten drei Jahren haben mir Meditationen sehr geholfen, aber seit geraumer Zeit kann ich mein Gedankenkarussell schwer abschalten und beschäftige mich stattdessen mehr mit Suggestionen. Ich habe auch mit Unterstützung intensiv an meinen Schattenthemen gearbeitet.

Aus einem „Leidensdruck“ heraus – ich war mit dem Thema Krebs konfrontiert, fand keine geeignete Selbsthilfegruppe für „junge Lungenkrebskranke“, hatte keine gute Erfahrung mit der Psychoonkologie gemacht und wollte als Betroffene offen über das Tabuthema Krebs sprechen – habe ich im November 2019 spontan selbst einen Podcast gestartet. Dort unterhalte ich mich einfach mit Betroffenen jeglicher Krebsarten – geheilt, mit Rezidiven oder palliativ. Inzwischen arbeite ich immer mehr an der Aufklärung zum Thema Lungenkrebs. So habe ich zusammen mit einer Filmhochschülerin eine Low-Budget-Doku produziert, habe mich mit jungen Lungenkrebserkrankten vernetzt und die Gruppe LungPowerWomen gegründet, die auch schon mediale Aufmerksamkeit erreicht hat. Diese sinnvolle Arbeit gibt mir viel Kraft und Zuversicht.

Stigma „Lungenkrebs“ & Aufklärung

Was mich aber immer noch sehr belastet, ist die Stigmatisierung von Lungenkrebs: Es wird meist sofort ein Zusammenhang zu Tod und Rauchen hergestellt. Plötzlich gehörte ich einer Randgruppe an.

Als meine Mutter an einem Lungentumor verstarb, war sie 70, Kettenraucherin und hat in ihren letzten Lebensjahren nicht besonders gesund gelebt. Ich aber stand kurz vor meinem 48. Geburtstag, hatte ab dem 19. Lebensjahr nie viel geraucht und seit der Schwangerschaft elf Jahre zuvor sowieso nicht mehr. Besonders ungesund ernährt habe ich mich auch nicht, und sportlich war ich obendrein. Ich war überzeugt, dass die Genetik schuld war, aber inzwischen weiß ich mehr.

Es besteht immer noch das Klischee, dass Lungenkrebs vom Rauchen kommt. Doch das entspricht nicht mehr der Realität, circa ein Viertel der Lungenkarzinome weltweit tritt bei Nichtrauchern auf. Eine Analyse zeigt, dass etwa jede achte Patientin/jeder achte Patient Nie-Raucher war. Frauen, die noch nie geraucht hatten, sind häufiger betroffen als Männer. Dies gilt für alle Altersgruppen, Ethnien und Lungenkrebsarten. Wie Dr. Scheffler von der Lung Cancer Group Cologne sagt: „Jeder, der eine Lunge hat, kann auch Lungenkrebs bekommen.“ Und: „Es ist wichtig, darüber aufzuklären, dass mindestens 20 Prozent der Lungenkrebspatienten*innen nie geraucht haben. Dies sind meist besonders junge Personen ab Mitte 20.“

Ich habe ein Adenokarzinom, das häufiger bei Nichtrauchern auftritt als andere histologische Subtypen. Daher spielen wahrscheinlich andere Risikofaktoren wie Radon-oder Feinstaubbelastung eine relativ größere Rolle. Hier braucht es noch viel Aufklärung. Wenn ich Menschen von der Diagnose erzähle, sind diese oft überfordert, wollen damit nichts zu tun haben, gehen mir unbewusst aus dem Weg, stellen keine Fragen, haben Ängste. Entweder wird das Thema ignoriert oder man kann sich eine „Portion Mitleid“ abholen, bevor die Menschen weitergehen. Am Anfang bin ich schon den extremen, offensiven Weg gegangen, über meine Diagnose zu sprechen. Inzwischen wäge ich aber immer mehr ab, wem ich davon erzähle und wem nicht.

Die andere Seite ist, dass ich dankbarer geworden bin, bewusster lebe und auch immer mehr im Moment, im Hier und Jetzt. Ich hatte schon oft davon gelesen, und jetzt erlebe ich es selbst: Die kleinen Dinge im Alltag können dich glücklich machen. Bewusstseinswerdung.

Ansonsten habe ich, insbesondere seit Corona – als ungeimpfte Risikopatientin – viel Zeit für mich. Ich bin dankbar, eine Familie zu haben, die mir und meinem Tag auch eine Struktur gibt. Zwischenzeitlich hatte sich leider ein Progress eingestellt, sodass die Krankheit für eine Weile meinen Alltag stark bestimmte.

Rückschläge – und wie weiter?

Ich war in dieser Zeit häufig im Krankenhaus, mein Körper wollte nicht so, wie ich es gern gehabt hätte, sondern hat mich immer wieder mit Schmerzen und aggressivem Wachstum des Tumors und weiterer Metastasen konfrontiert.

Dadurch, dass ich bei der Patientenorganisation für Lungenkrebserkrankte „zielgenau“ (www.zielgenau.de) Mitglied bin, die u. a. immer wieder Onlinevorträge von Lungenfachärzten zu der neuesten Forschung initiieren, war ich eine informierte Patientin und wusste von der Therapieoption eines zweiten zielgerichteten Medikaments. Diese Medikation hat die Krankenkasse zweimal abgeschmettert. Der Tumor hatte sich zwischenzeitlich so stark ausgebreitet, dass ich im Dezember/Januar 2021/2022 einer Bestrahlung der Lunge zugestimmt habe. Danach war kurze Zeit Ruhe. Jedoch schon bald bildeten sich neue Metastasen, und die Schmerzen waren nur noch durch eine Schmerzpumpe in den Griff zu bekommen. Dazu muss ich erwähnen, dass mir die Uniklinik trotz Schmerztherapie nicht weiterhelfen konnte. Erst die selbstorganisierte Kontaktaufnahme zu Palliativmedizinern und der anschließende Aufenthalt auf einer Palliativstation konnten mich von den Schmerzen befreien. Auch ein wichtiges Thema ist, dass die Palliativmediziner Profis in der Schmerztherapie sind und auch menschlich besser geschult sind, mit schwer kranken Menschen umzugehen. Da wäre eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Praxis sehr wünschenswert. Die mangelnde Arzt-Patienten-Kommunikation, die ich durchgehend erlebe, ist ein sehr belastender Faktor in meiner Situation.

Mit dem Tumor leben

Letztlich konnte ich die Situation zuletzt nur durch eine Chemotherapie wieder in den Griff bekommen. Ich wollte nie eine Chemo machen, aber da es „kurz vor knapp“ stand, habe ich mich bewusst für diese entschieden und bin durch eine glückliche Aneinanderkettung von Zufällen auf eine integrative Klinik gestoßen, die sogar mit der Uniklinik, an der ich behandelt werde, zusammenarbeitet. Trauriger Nebeneffekt: Die Onkologen haben mir davon nichts erzählt und waren nach meiner Wahrnehmung auch „not amused“, als ich darauf bestanden habe, dort die Chemo durchzuführen. Miteinander geht eigentlich anders. Doch ich bin froh, diese Entscheidung für mich so getroffen zu haben, denn im Sommer war ich bereits mit meiner Familie auf dem Berg – mit dem Rad!

Was ich als das Wichtigste und manchmal auch als das Herausforderndste empfinde, ist die Eigenverantwortung. Dabei ist die Unterstützung durch den behandelnden Arzt, die behandelnde Ärztin so wichtig, wie in vielen Studien schon nachgewiesen ist: „Nach allem, was wir auch aus der Hirnforschung, der Gesundheits- und der angewandten Palliativmedizin wissen, liegt das A und O an einer gelingenden Arzt-Patienten-Beziehung … nicht im nackten Fachwissen, sondern im echten Mitgefühl – das hilft bei der Aktivierung der Selbsthilfe und Selbstheilungskompetenz“ (Prof. Dr. Tobias Esch).

Alle 3–4 Monate habe ich – durch den Progress im engeren Zeitrahmen – Stagings, das heißt Kopf-MRT und CT oder PET-CT. Ich gehe immer allein zu den Untersuchungen, das liegt mir mehr. Manchmal bin ich selbst darüber erstaunt, wie entspannt ich damit umgehen kann: Ändern kann ich nichts an der Situation, und deshalb lasse ich mich möglichst nicht in irgendwelche Worst-Case-Szenarien ziehen. Das nutzt mir nämlich nichts. Natürlich ist der Progress trotzdem belastend und macht meine mentale Arbeit nicht gerade leichter. Da stoße ich schon manchmal an meine Grenzen. Ich empfinde tatsächlich die bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod und Sterben auch als sehr hilfreich. Gerade Geschichten und Forschung zu Nahtoderfahrungen. Für mich war es auch wichtig, bereits früh mit einer Trauerrednerin zu sprechen und auch meinen Wunsch der Art der Beerdigung zu organisieren.
Dies mag merkwürdig klingen, aber es gibt mir innere Ruhe – gehen müssen wir am Ende ALLE, und es nutzt auch hier nichts, das zu verdrängen. Seit ich mich damit aktiv auseinandergesetzt habe, ist die Angst vor dem Ungewissen kleiner geworden, und ich habe mehr Energie, mich mit dem zu befassen, was ich erreichen will. Trotz der Beschäftigung mit meiner Endlichkeit ist mein Leben auf Heilung ausgerichtet. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich lebe jetzt im 5. Jahr mit meiner Diagnose und damit schon deutlich länger als initial erwartet – und das mit guter Lebensqualität. Mir ist sehr wichtig geworden, immer wieder diesen Ort des inneren Friedens zu finden, den Teil, der größer ist als das, was im Körper passiert. So versuche ich mich immer wieder zu erden, zu reflektieren. Neben dem Meditieren und dem Yin-Yoga hilft mir besonders die Natur in Form von Waldspaziergängen. Hier tanke ich immer wieder innere Stärke auf: in der Stille. Eingebunden in das große Ganze.

Auch wenn es ohne Rückschläge schöner wäre und ich gern eine Geschichte mit Happy End schreiben würde, hat das Leben manchmal andere Pläne mit uns. Für mich ist wichtig, wie ich damit umgehe und dass ich auch mit dieser Erkrankung wie mit anderen chronischen Krankheiten leben kann. Das nimmt den Druck und macht mir Mut.

Information zu unseren Betroffenenberichten

Wir freuen uns, wenn Patient:innen ihren individuellen und persönlichen Genesungsweg finden. Das ist ein Ausdruck des großen Heilungspotenzials in jedem Menschen. Gerne teilen wir diese Erfahrungen mit unseren Leser:innen, auch wenn persönliche Entscheidungen nicht immer auf andere Betroffene übertragbar sind. Sie entsprechen auch nicht in jeder Hinsicht einer konkreten Empfehlung der GfBK für Patient:innen in ähnlicher Situation. Wägen Sie sorgfältig ab, welche Impulse aus den Patient:innenberichten für Sie in Ihrer aktuellen Lage passend sind. Besprechen Sie diagnostische oder therapeutische Maßnahmen im Zweifel gerne mit unserem ärztlichen Beratungsdienst.

©iStock, 1210358928, nortonrsx
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