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Bei sich bleiben – Editorial von Dr. med. György Irmey

Bei sich bleiben und dabei wachsen – kann das für Krebsbetroffene überhaupt eine sinnvolle Aussage sein? Damit beschäftigen wir uns im ersten Heft der momentum 2025. Die Leitgedanken der Redaktion von Dr. med. György Irmey – Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Therapeuten kommen zu Wort.
Entfaltung: wie ein Farnblatt sich aus einer winzigen Blattspirale entfaltet. Foto: stock.adobe.com/418studio

Entfaltung – bei sich bleiben und wachsen

Editorial der momentum 1 / 2025 von Dr. med. György Irmey, Ärztlicher Direktor der GfBK

Jeden Morgen wachen wir auf und spüren, dass sich die Welt scheinbar immer schneller dreht. Geht es Ihnen auch so? Alles um uns herum verändert sich in einem atemberaubenden Tempo. Manchmal fühlt es sich an, als würden wir in einem stürmischen Ozean ohne Land in Sicht treiben. Die Gefahr, von diesem Strudel der Veränderungen mitgerissen zu werden, ist groß. Doch gerade dann ist es essenziell, innezuhalten, tief durchzuatmen und sich bewusst auf das Hier und Jetzt zu besinnen.

Diese Herausforderung, bei sich zu bleiben, wird noch größer, wenn man nicht nur den äußeren Anforderungen begegnen muss, sondern auch mit einer persönlichen Krise konfrontiert wird – wie zum Beispiel einer Krankheit wie der Krebserkrankung. Eine solche Diagnose bringt oft eine Lawine an Verpflichtungen und Entscheidungen mit sich: zahllose Arztgespräche, die Koordination von Terminen, das Sammeln von Informationen und schließlich die Suche nach der richtigen medizinischen Behandlung. Und während all das auf einen einstürzt, lautet noch der gutgemeinte Rat: „Bleiben Sie bei sich und wachsen Sie daran.“

Wie aber soll das gelingen? Warum ist Selbstermächtigung so entscheidend? Die Ge- schichte von Esther Pauchard, Fachärztin für Psychotherapie und Psychiatrie, gibt Mut und Inspiration. Ihr erging es ähnlich wie meinem in der GfBK gut bekannten, lieben ärztlichen Kollegen Dr. Ebo Rau, der plötzlich mit der Diagnose eines damals inoperablen Bauchspeicheldrüsenkrebses aus seinem Praxisalltag gerissen wurde. Sie beschreibt in ihrem Artikel, wie sie selbst von einem Tag auf den anderen die Rollen wechselte: von der Ärztin zur Patientin. Plötzlich stand sie vor der Aufgabe, mit einer schweren Krankheit umzugehen – und dabei ihren eigenen Weg zu finden. Esther Pauchard schreibt: „Sobald ich begonnen hatte, Verantwortung für mich selbst und meinen Heilungsprozess zu über- nehmen, konnte ich zu wachsen beginnen.“ Verantwortung übernehmen – das klingt so einfach, doch in Wirklichkeit ist es ein Prozess. Es bedeutet, sich bewusst zu entscheiden, nicht in der Hilflosigkeit zu verharren, sondern aktiv das Steuer in die Hand zu nehmen. Hier spielt das Konzept der Selbstwirksamkeit eine Schlüsselrolle, fast wie ein Zauberwort. Denn Veränderungen, die uns wirklich weiterbringen, können nur von innen kommen. Unsere Gedanken, unsere Überzeugungen und unser Handeln wirken maßgeblich auf unser Wohlbefinden ein. Dabei denke ich an den Placebo-Effekt: Er zeigt eindrucksvoll, wie stark positive Erwartungen unseren Heilungsprozess beeinflussen können. Doch genauso mächtig ist sein Gegenstück, der Nocebo-Effekt, bei dem negative Erwartungen zu einer Verschlechterung führen. Die Erkenntnis daraus? Es liegt in unserer eigenen Hand, den Fokus bewusst auf mögliche gute Aspekte zu lenken – auch und gerade in schwierigen Krankheitssituationen. Das bedeutet nicht, die Realität zu leugnen oder Schwierigkeiten kleinzureden. Aber es heißt, sich der kleinen Lichtblicke bewusst zu werden, die selbst in dunklen Momenten existieren. Es heißt, zu lernen, wie man trotz stürmischer Wellen ein inneres Gleichgewicht anstreben oder sogar bewahren kann.

In einer Welt, die uns ständig antreibt und mit Erwartungen überschüttet, wird die Fähigkeit, bei sich zu bleiben, zur Lebenskunst. Es ist ein Prozess, ein stetiges Üben und Wachsen. So wie Esther Pauchard es beschreibt: Sich selbst zu vertrauen, Verantwortung zu übernehmen und in kleinen Schritten voranzugehen, Stück für Stück, das ist ein Weg, der aus dem Strudel herausführt.

Mit den Worten von Anja Bayer, eine unserer Interviewpartnerinnen in dieser Ausgabe, möchte ich meine Leitgedanken schließen: „Spiritualität heißt, mit den heilsamen Qualitäten unserer Seele in Kontakt zu sein.“ Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie durch unsere vielfältigen Inspirationen mit den heilsamen Qualitäten Ihrer Seele in Berührung kommen.

Herzlichst Ihr Dr. med. György Irmey

 

Hinweis:
Die „momentum – gesund leben bei Krebs“ erscheint viermal jährlich für alle Mitglieder unserer Gesellschaft, einzelne Inhalte veröffentlichen wir auch im Internet. Wenn auch Sie Mitglied unserer Gesellschaft werden möchten, finden Sie alle Informationen hier auf unserer Website. Der Text ist das Editorial der Heftnummer 1 / 2025 „Entfaltung – bei sich bleiben und dabei wachsen“ erschienen.

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©iStock, 1210358928, nortonrsx
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